Der Nobelpreis
schon die simplen Schlösser an den Zimmertüren öffnen und mich zu meiner Schwester schleichen können, ich wäre erfroren.
Sie hatten alle gewusst, dass ich die Wahrheit gesagt hatte, doch sie hatten nichts unternommen, nichts gesagt, mir nicht geholfen. Die Gesellschaftsdamen. Ich hatte sie fast noch mehr gehasst als Kohlström. Aber natürlich bekam ich nie wieder die Gelegenheit, ihnen zu begegnen.
Nach diesem Vorfall verlegte ich mich auf Guerillataktiken. Ich habe die Guerilla sozusagen erfunden, ohne das Wort je gehört zu haben. Dinge verschwanden oder gingen kaputt, wenn ein Schloss zwischen ihnen und mir mein Alibi war. Rune Kohlström bekam enorme Probleme mit seinem Auto. Immer wieder stank es entsetzlich in dem Haus, das er etwas abseits von unserem Bau mit den Schlafräumen, der Küche und dem Speisesaal bewohnte. Ab und zu lagen tote Tiere in seinem Briefkasten oder in seinen Gummistiefeln, wenn er so unachtsam war, sie draußen stehen zu lassen.
Besonders das mit den toten Tieren brachte ihn in Rage. Dann donnerte er immer durch die Gänge, ein schnaubender Koloss, ein furchterregendes schwarzes Ungetüm, vor dem wir uns in Ecken und Winkel duckten. Wehe dem, der das getan hat!, schrie er ein ums andere Mal. Wehe, wenn ich den erwische!
Die bloße Erinnerung an diese Zeit ließ meine Handflächen feucht werden und meinen Puls schneller gehen. Himmel, ich hatte immer noch Angst vor diesem Mann! Mein Körper erinnerte sich genau, und er fürchtete sich. Mein Körper wollte nicht an diesen Ort zurückkehren. Der Schneesturm war sein Verbündeter.
Der erbitterte Wind, gegen den ich anfuhr, war so stark, als wolle er mich nach Stockholm zurückschieben. Dicke weiße Flocken kamen mir in einem hypnotisierenden Strom entgegen und schienen zu sagen: »Falsche Richtung!« Ich fuhr auf einer Straße, auf der mein Wagen nur geduldet war.
Egal, sagte ich mir. Trotzdem. Ich würde nicht anhalten. Ich würde weiterfahren, das Waisenhaus von Kråksberga erreichen und Kohlström gegenübertreten. Oder ich würde sterben bei dem Versuch.
Es war ein heißer Schwur, an das Universum selbst gerichtet. Und als habe es klein beigegeben und sende ein Zeichen, erstarb das Schneegestöber schlagartig, und vor mir bog ein Räumfahrzeug aus einer schmalen Querstraße, als habe es auf mich gewartet. Eine weiße Fontäne zur Seite schleudernd und Salz nach allen Richtungen sprühend, brauste es vor mir her, und ich brauchte ihm nur zu folgen.
Endlich ging es voran. Bis Oskarshamn war vom Schneeeinbruch kaum noch etwas zu spüren. Es begann zu dämmern. Je weiter ich landeinwärts kam, desto weniger Schnee lag auf der Straße. Als ich Kråksberga und schließlich das Waisenhaus außerhalb davon erreichte, war ich mindestens zwanzig Kilometer durch eine normale schwedische Winterlandschaft gefahren, und die Sonne stand schon bleich und müde über dem Horizont. Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte acht Uhr und fünfzig Minuten, als ich vor dem Gebäude hielt, das ich vor fast einem Vierteljahrhundert zum letzten Mal gesehen hatte. Ich war beinahe sechs Stunden ohne Pause gefahren, und der Tank war so gut wie leer.
Ich hatte all die Jahre versucht, die Erinnerungen aus meinem Gedächtnis zu streichen, aber sie waren noch da, und das, was ich sah, sah noch genauso aus wie damals. Nur kleiner. Und der Hof, der damals einfach aus festgetretener Erde bestanden hatte, war nun asphaltiert. Die breite Treppe zur Eingangstür im inneren Winkel des großen, L-förmigen Haupthauses besaß jetzt ein Geländer. Überhaupt, das Gebäude schien frisch gestrichen, und auf dem Dach entdeckte ich eine Satellitenschüssel.
Ich war müde bis in die Knochen und zugleich so voller Wut, dass mir das Adrenalin wahrscheinlich aus den Haarspitzen tropfte. Mit anderen Worten, ich war nicht mehr zurechnungsfähig.
Die denkbar beste Voraussetzung für das, was ich vorhatte.
Ich holte die Pistole unter dem Sitz hervor und steckte sie griffbereit in meine Jackentasche, dann stieg ich aus. Ich hatte auf der Straße neben der Zufahrt geparkt, die von zwei aus Ziegeln gemauerten Pfosten begrenzt wurde. Zu meiner Zeit waren es noch windschiefe braune Holzbalken gewesen.
Doch abgesehen von derlei Kosmetik war alles unverändert. Da war der Hauptbau, der mit seinem weit hinausragenden Dach den Hof wie ein großes, hungriges Maul überschattete und dessen Fenster so stumpf und blind wie eh und je glänzten. Rechter Hand das Haus des Hausvaters, klein,
Weitere Kostenlose Bücher