Der Nobelpreis
gekannt.
»Aber du hast dein Problem ja nicht gelöst«, sagte ich.
»Genauso wenig wie du deines.« Er gab einen schluchzenden Laut von sich. »Du hast immer geglaubt, damals bei dem Prozess nach dem Unfall hätten sie meine Blutalkoholuntersuchung unter den Tisch fallen lassen. Weil ich angeblich so ein hohes Tier bin. Aber die Untersuchung hat tatsächlich irrelevant niedrige Werte ergeben. Ich hatte an jenem Abend tatsächlich nicht viel getrunken.« Er hielt inne. Seine Lippen zitterten, bewegten sich lautlos, als tasteten sie nach noch nie gesagten Worten. »Aber ich hatte wie immer Benzodiazepin genommen, und das hat zusammen mit dem Alkohol meine Reaktionsfähigkeit vermindert. Darauf hat man mich nicht getestet. Man ist überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass da etwas sein könnte.«
Er sah mich mit waidwundem Blick an. »Es war ein Unfall, und ich will nicht behaupten, dass ich keine Schuld daran hätte. Aber du auch. Du trägst auch Schuld, Gunnar.«
Ich wollte etwas erwidern, etwas Wütendes, etwas Gerechtes, aber in diesem Moment blieb die Zeit stehen. Alles erstarrte, und ich sah auf einmal ein merkwürdiges, ehrfurchtgebietendes Muster aus Zusammenhängen und Verstrickungen. Oder bildete es mir ein. Oder meine Neuronen hatten für einen Augenblick durchgedreht und mich auf einen selbstproduzierten Trip geschickt.
Dann ging alles weiter, und ich saß immer noch auf dieser fleckigen Couch in diesem staubigen Wohnzimmer.
»Ich verstehe«, sagte ich zu niemand Bestimmtem.
Ich sah hinab auf die Pistole in meinen Händen. Ich sicherte sie und legte sie auf den Couchtisch, zwischen die Erdnüsse und die Kartoffelchips.
Dann nahm ich den Zettel, von dem Hans-Olof behauptet hatte, er stamme von Kristina, und stand auf.
Hans-Olof zuckte zusammen. Ich sah auf ihn hinab.
»Stell deine Putzfrau wieder ein«, sagte ich. »Dein Haus stinkt wie eine Gruft.«
Dann ging ich.
KAPITEL 50
Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, wie ich mit Dimitris Auto in Hallonbergen ankam und es wieder auf dem Parkplatz abstellte, auf dem ich es vorgefunden hatte. Wie ich von Sundbyberg hergekommen war: Keine Ahnung. Ich muss wie in Trance gefahren sein.
Ich wusste nicht, was ich mit dem Wagenschlüssel machen sollte; schließlich warf ich ihn einfach in den Briefkasten, von dem ich glaubte, dass er zu Dimitris Wohnung gehörte. Sollte sich jemand anders den Kopf zerbrechen.
Die Fahrt mit der Tunnelbana in die Stadt war nur Anfahren, Halten, Hell, Dunkel. Ich stand in dem Gedränge und Stimmengewirr und hörte doch nur Hans-Olofs Stimme. In der Hinsicht warst du immer berechenbar wie ein Wasserkocher. Ich sah mein Gesicht in den dunklen Scheiben und konnte nicht glauben, dass ich das war. Konnte Scham so brennen? Oder hatte ich Fieber? In meinem Gehirn ging alles durcheinander. Das war kein neuronales Muster mehr, das war nur noch Chaos.
Noch in der Nacht zuvor, während mir Sofía Hernández Cruz erklärte, was faul an dem klang, was ich ihr erzählt hatte, war ich völlig darauf fixiert gewesen, das Komplott entlarvt zu haben. Dass ich dazu fremde Hilfe gebraucht hatte, gut, das war weniger schön, aber immerhin, sie war eine Nobelpreisträgerin, einer der klügsten Menschen der Welt, da war die Schmach nicht so groß. Letztendlich zählte doch nur, dass es mir gelungen war, den Schwindel zu durchschauen, oder? Egal wie. Ich war stolz darauf gewesen. Den Rest der Morgenstunden hatte ich in fiebriger Rückschau verbracht, hatte mir alle Einzelheiten der letzten Wochen wieder ins Gedächtnis gerufen, alles unter der neuen Prämisse durchdacht und keine Widersprüche entdeckt. Es war schlüssig, es war einleuchtend. Alles, was ich noch gebraucht hatte, war ein Beweisstück gewesen. Dieses schließlich zu finden, hatte ich für einen Triumph gehalten.
Keine Sekunde lang hatte ich darüber nachgedacht, was das alles über mich selbst besagte. Hans-Olof war der Verdächtige, der Hauptschuldige, der Bösewicht gewesen.
Aber er hatte es nur sein können, weil ich im Lauf der Zeit ein vernagelter Hornochse geworden war. Meine Gewohnheiten, auf die ich mir so viel eingebildet hatte, die Gewohnheiten eines misstrauischen Mannes – sie waren nichts anderes gewesen als ein Gefängnis, das ich für mich selber erbaut hatte. Ja, ich war eine Marionette gewesen, und Hans-Olof hatte an meinen Fäden gezogen – aber das waren Fäden, die ich ihm selber in die Hand gegeben hatte; Fäden, die ich selber geflochten, in
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