Der Nobelpreis
dich getroffen hat, siebenunddreißig Jahre lang ohne ausgekommen.
»Ich weiß nicht«, hatte Inga gesagt. »Es könnte auch sein, dass er Nachholbedarf hat.«
Ich hatte nachdenklich geschwiegen. Lange genug, damit ihr das, was ich danach sagte, wie Beschwichtigung vorkommen musste.
Hans-Olof barg das Gesicht in den Händen, fuhr sich durch das dünne Haar. »Und dann die Katastrophe. Ich komme nach Hause, nichts ahnend, nicht einmal, dass Inga schon da ist, dass sie einen Tag früher aus der Klinik zurückgekommen ist als geplant.« Er atmete schwer, überwältigt von unerwünschten Erinnerungen. »Wie sie dasteht und mich ansieht, wie sie mich noch nie angesehen hat. Wie sie mir dieses … Ding vors Gesicht hält, das Höschen, das sie in unserem Ehebett gefunden hat. Ein schwarzes, spitzenbesetztes Stück Stoff, zerknüllt und feucht … und nach jemand anders riechend.«
Ich sagte nichts. Ich erinnerte mich. An diesem Abend war Inga zu mir zurückgekehrt. In unsere alte Wohnung in Södertälje. In unser Haus.
»Ich habe nicht begriffen, was überhaupt vor sich ging«, stieß Hans-Olof hervor. »Warum Inga einen Koffer gepackt hatte. Erst als das Taxi weg war, ist mir aufgegangen, was sie gedacht haben muss.«
Auf unserer alten Couch hatte sie losgeheult. Er hat in unserem Ehebett eine andere Frau gevögelt! Während ich im Krankenhaus gelegen habe, um unser gemeinsames Kind nicht zu verlieren! Ich hatte ihr einen Baldriantee gekocht und ihr gut zugeredet; ihr erklärt, dass wir niemanden brauchten; dass sie ihn einfach vergessen solle.
»Damals habe ich mit dem Trinken angefangen, an diesen Abenden, die wie Abgründe waren. Das wolltest du doch immer wissen, nicht wahr? Wieso jemand wie ich zum Säufer wird? Damals war das. Ich habe getrunken, um durch die Nächte zu kommen, und Tabletten genommen, um die Tage zu überstehen. Vier Monate lang war sie weg. Vier Monate lang, die mir wie vierhundert Jahre vorgekommen sind. Und als Inga zurück war, bin ich nicht mehr davon losgekommen,«
Eines Abends, als ich für eine kleine Observation unterwegs und Inga allein zu Hause gewesen war, hatte es geklingelt. Ich hatte den Fehler begangen, der Frau, die in meinem Auftrag die anonymen Anrufe gemacht hatte, zu verraten, wo ich wohnte. Nun stand sie vor der Tür und wollte noch mal Geld dafür, und als Inga sagte, sie solle verschwinden, hat sie ihr alles erzählt.
Als ich spätnachts zurückgekommen war, hatte Inga nur wissen wollen, von wem der Slip stammte. Ich gestand, dass ich ihn aus dem Wäschekorb einer dunkelhaarigen, breithüftigen jungen Frau im Nachbarhaus gestohlen hatte und das Parfüm, das schwer und sinnlich über dem vermeintlichen Tatort gelegen hatte, aus ihrem Schlafzimmer stammte. Es hatte alles schnell gehen müssen. Dank der Wanze in Ingas Wecker hatte ich erfahren, dass sie früher entlassen werden würde und nicht Hans-Olof, sondern eine Freundin angerufen und gebeten hatte, sie abzuholen, und von diesem Moment an hatte ich nur zwei Stunden Zeit gehabt, alles herzurichten.
»Ich weiß nicht, wie Inga dir das überhaupt verzeihen konnte«, sagte Hans-Olof.
Weil ich trotz allem ihr Bruder war. Und weil sie – aber das wurde mir erst in diesem Moment klar – sich eingestanden haben muss, dass sie, wenn sie Hans-Olof nicht zumindest ein wenig verdächtigt hätte, nie auf die Idee gekommen wäre, früher als angekündigt nach Hause zu kommen.
»Ich weiß nicht, wie ich es fertig gebracht habe, dir danach je wieder die Tür aufzumachen.«
Weil du schon immer ein Feigling gewesen bist. Ein Waschlappen.
»Wie ich es mit dir in einem Zimmer ausgehalten habe. Wie ich dir meine Tochter anvertrauen konnte. Ich glaube, es war nur Inga zuliebe und weil ich so froh war, sie zurückzuhaben. Schwamm drüber, habe ich mir gesagt. Ich habe mir eingeredet, dass es eine Überreaktion war, dass man Verständnis haben muss.« Er musterte mich mit einem zitternden Blick.
»Aber ich habe es nicht vergessen. Ich glaube, wenn ich das nicht erlebt hätte, wäre ich überhaupt nie auf die Idee gekommen, dass man ein Problem auch so lösen kann.«
Das Pochen in meinem Schädel ließ nach. Vielleicht war der Vorschlaghammer mit seiner Arbeit fertig. Ich schaute umher, musterte die staubigen Zimmerecken, die schmierigen Stellen auf dem Vitrinenglas, den Zeitungsstapel neben dem Sessel. Ich hatte das Gefühl, das Wohnzimmer zum ersten Mal im Leben zu sehen. Als hätte ich vorher immer nur Fotos davon
Weitere Kostenlose Bücher