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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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denen ich mich verfangen hatte im Lauf meines Lebens …
    Und Inga … Was Hans-Olof zum Schluss gesagt hatte, schmerzte wie ein frisches Brandzeichen auf meiner Seele. Das Schlimmste war, dass ich wusste, dass er Recht hatte. Dass ich es im tiefsten Grunde immer gewusst hatte.
    Obwohl ich unterwegs völlig die Orientierung verlor, gelangte ich irgendwie von der blauen in die rote Linie, erwischte sogar die richtige Richtung und kam in der Nähe der Pension wieder an die Oberfläche. Es regnete leicht, die Reifen der Autos machten in dem aufgeweichten Schnee schmatzende Geräusche, und das Licht der Scheinwerfer schien in der Dunkelheit zu ertrinken.
    Ich merkte, wie meine Schritte langsamer wurden, als ich mich der Pension näherte. Mein Geist wusste nicht mehr, was er glauben sollte, aber das änderte nichts daran, dass mein Körper bis in die letzte Faser mit einem Misstrauen getränkt war, das sich völlig selbstverständlich anfühlte. Ich hatte mein Leben lang gekämpft, gelauert, hatte keinen Schritt getan, ohne mich umzusehen und nach allen Seiten zu sichern. Ich hatte gelernt, Gefahren zu wittern und Hinterhalten zu entgehen. Ich hatte in einer Welt gelebt, in der ich von Feinden umgeben war und in jeder Sekunde wachsam sein musste, wenn ich überleben wollte.
    In der Deckung einer Haustür blieb ich stehen, sah mich um, hielt Ausschau nach Verfolgern und Fluchtwegen, eingefleischte Gewohnheiten eines misstrauischen Mannes. Wer sagte denn, dass das alles falsch gewesen war, was ich geglaubt hatte? Hans-Olof hatte ausgenutzt, dass er mich kannte, und es deshalb geschafft, mich hereinzulegen. War die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen war, nicht die, dass ich in Zukunft noch viel, viel besser aufpassen musste, wem ich mich anvertraute? Dass ich möglichst niemandem mehr etwas Persönliches erzählen durfte?
    Ich schloss die Augen, hielt das Gesicht in den sacht fallenden Regen, spürte die Kühle auf der Haut. Es war, als verdampften die Tropfen, sobald sie mich berührten. Ich wusste nicht mehr, was richtig war. Andererseits, was hatte ich zu verlieren? Da war die Pension. Ich brauchte nur hinaufzugehen, und wenn die Polizei mich verhaftete, würde ich wissen, dass ich Recht gehabt hatte.
    Also. Auf zur Wahrheit. Ich trat zurück auf die Straße, setzte mich in Bewegung, und verdammt noch mal, sie beobachteten mich, ich konnte es förmlich spüren! Wie Nadelstiche im Rücken. Ich widerstand dem Impuls, zu fliehen, der beinahe zum Schmerz wurde, als ich die Haustür erreichte.
    Das Auto, das ich gemietet hatte, stand immer noch da, wo ich es vor fünf Tagen geparkt hatte. Fünf Tage? Sie kamen mir vor wie fünf Jahre, wie ein anderes geologisches Zeitalter.
    Das Treppenhaus war still und leer und roch nach verbranntem Essen und Waschpulver. Einen Fuß vor den anderen. Ich würde das jetzt durchziehen. Meine Sohlen quietschten auf den steinernen Stufen. Ich zog den Schlüssel hervor, schloss die Tür auf.
    Der miefige Geruch kam mir entgegen, als wäre nichts gewesen. In der Küche stand ein muskulöser junger Mann in einem rotgelb gestreiften Pullover und packte irgendwelche Einkäufe aus. Als er mich hereinkommen sah, rief er laut »Aha!«, ließ alles stehen und liegen und kam mir über den Flur entgegen. »Sie müssen Herr Forsberg sein, nicht wahr?«
    »Ja«, gestand ich, mit hängenden Armen, damit mir niemand Gegenwehr unterstellen würde.
    »Göran Lind.« Er reichte mir die Hand. »Ich bin der Neffe von Frau Granberg. Ich helfe hier immer aus, wenn sie im Krankenhaus ist.«
    »Im Krankenhaus?«, wiederholte ich begriffsstutzig, während ich seine Hand schüttelte.
    »Ich dachte mir schon, dass sie Ihnen davon nichts gesagt hat. Meine Tante leidet an Krebs. Kein sonderlich aggressiver, zum Glück, aber er kommt eben immer wieder, und deshalb muss sie sich alle paar Monate behandeln lassen. Ich nehme mir dann jeweils frei und schmeiße hier so lange den Laden.«
    »Verstehe«, brachte ich heraus. Keine Handschellen. Es klang auch nicht so, als lauerten hinter den Türen Polizisten.
    Er lächelte. Eine Frohnatur, wie es schien. »Sie waren ein paar Tage verreist, nicht wahr? Da haben Sie von dem Zirkus gar nichts mitbekommen, den wir letzten Samstag hatten.«
    »Zirkus?«
    »Ihr Zimmernachbar hat die Polizei gerufen. Hat denen erzählt, hier würden Sexfilme mit Minderjährigen gedreht, worauf die mit einem ganzen Kommando die Wohnung gestürmt haben.« Er lachte kopfschüttelnd auf. »Ich meine, dass

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