Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
habe ich kapituliert, die Dinge einfach laufen lassen …« Er sah mich finster an. »Die Bilder in Bosse Nordins Schreibtisch sind übrigens Fotos seiner Patenkinder, die er in aller Welt unterstützt. Seine vier Töchter sind alle adoptiert, drei stammen aus Vietnam und eine aus Mexiko. Bosse hat vor Jahren mit einer Erfindung einiges Geld gemacht, er kann es sich also leisten, und er unterstützt aus Prinzip nur Mädchen. Die Strichlisten zählen Briefe, die er ihnen geschrieben hat, und das Datum kennzeichnet, wann er sie das erste Mal besucht hat.«
    Ich nickte nur. Mein Schädel fühlte sich an, als sei er versteinert und alle Gedanken mit ihm.
    »Und dann hast du angerufen und mir den Rest gegeben«, fuhr er fort. »Dein Freund Dimitri hatte Kristinas Mobiltelefon angepeilt. Was hätte ich da tun sollen? Egal wie, du durftest keinen Kontakt mit Kristina bekommen. Also habe ich auf dem Weg nach Hallonbergen die Polizei verständigt.« Er rieb sich die Schläfen. »Und dann kamen sie ewig nicht. Ich stand in der Straße, wartete vor dem Haus, und nichts ist passiert. Ich war schon halb darauf gefasst, dass auch das wieder schief gehen würde, aber dann sind sie doch noch rechtzeitig aufgetaucht. Ich habe auf dich gewartet, damit du nicht auf die Idee kommst, jemanden von den Anwohnern zu fragen, was passiert ist.«
    In meinem Schädel pochte es, nein, es krachte, als dresche jemand mit einem Vorschlaghammer auf eine Wand ein. Ich hätte mir um ganz andere Dinge Gedanken machen müssen – um Kristina, darum, dass mir Hans-Olof womöglich gerade schon wieder etwas vorlog und sie in Wahrheit tot war, um Dimitri –, aber ich konnte nur an eines denken: »Du wusstest es die ganze Zeit? Du wusstest immer, wie ich reagieren würde?«
    Hans-Olof musterte mich mit milder Verwunderung. »Das ist ja nicht schwer. Wenn man dich ein bisschen kennt, weiß man genau, welchen Knopf man drücken muss.«
    »Welchen Knopf? Ist das so? Dass man bei mir nur Knöpfe zu drücken braucht?«
    »Was habe ich denn Großartiges gemacht? Ich habe dir doch bloß das erzählt, was du selber die ganzen Jahre gepredigt hast. Ein Stichwort, und schon ging es los. In der Hinsicht warst du immer berechenbar wie ein Wasserkocher.«
    So war das also. Die Wand, die der Vorschlaghammer im Begriff war einzureißen, hatte ich eigenhändig errichtet. Hans-Olof hatte Recht, ich war berechenbar gewesen. Nur deshalb hatte er überhaupt eine Chance gehabt. Ich hatte geglaubt, der große Durchblicker zu sein, derjenige, der hinter die Kulissen schaut, der kapiert, wie das Spiel läuft. In Wirklichkeit hatte ich mich bloß geistig in die Ecke manövriert, mich in einem Labyrinth aus Verdächtigungen, Vermeidungen und Abwehrstrategien eingemauert und war auf diese Weise voraussagbar geworden. Einer von denen, die aufs Stichwort immer die gleiche Geschichte erzählen. Einer von denen, bei denen man immer schon weiß, was kommt. Einer von denen, hinter deren Rücken man die Augen verdreht und sich zuraunt, er schon wieder. Jeder hatte Bescheid gewusst, nur ich nicht.
     
    Sind Sie jetzt verärgert? Aufgebracht? Dicht davor, das Buch in die Ecke zu pfeffern? Ich habe Sie betrogen. Ich habe den Anfang nicht so geschildert, wie er sich tatsächlich zugetragen hat, sondern so, wie ich ihn mir nach Hans-Olofs Schilderungen vorgestellt habe. Ich habe die Entführung so geschildert, dass Sie glauben mussten, das alles habe sich tatsächlich so zugetragen. Doch es war eine Lügengeschichte, von Anfang an. Den Mann mit den Fischaugen gibt es überhaupt nicht. Hans-Olof hat nie mit dem toten Journalisten gesprochen. Auch die Trauerfeier hat nie stattgefunden, weil bei dem Unglück von Mailand kein Angehöriger des Karolinska-Insituts ums Leben gekommen ist. Das hatte ich nicht nachgeprüft. Wozu auch, es hatte so viel anderes zu tun gegeben, so viel vermeintlich Dringenderes …
    Die Angst, die Hans-Olof bei den Anrufen der Entführer empfunden haben wollte – ich hatte sie empfunden, als er davon erzählte. Auch die Hoffnung, mit der er angeblich nach der Abstimmung auf die Freilassung seiner Tochter gewartet hat. Die Verzweiflung, als ihn Bosse Nordin in die Verschwörung einweihte. Was dieser natürlich nie getan hat. Tatsächlich haben er und Hans-Olof relativ wenig miteinander zu tun; es war Professor Nordins Urlaub und seine Nichterreichbarkeit für eventuelle Fragen, die ihm einen Platz in Hans-Olofs Geschichte verschafft hatten.
    Sind Sie jetzt verärgert?

Weitere Kostenlose Bücher