Der Nobelpreis
sagte ich bedächtig, »jeder von uns kümmert sich in bewährter Weise um seinen eigenen Kram.«
»Ach, der gute alte Gunnar, charmant wie eh und je«, grinste Mårtensson unbeeindruckt. Es ist mir nie gelungen, ihm seine penetrant heitere Stimmung zu verderben, und ich kenne auch niemanden, der es je geschafft hätte. »Na, wie auch immer, ich muss Sie jetzt sowieso stehen lassen. Es ist Zeit für meine Tomatensuppe. Bewähren Sie sich schön. Sollte mich freuen, Sie nie wiederzusehen.« Mårtensson hatte feste, geradezu rituelle Ernährungsgewohnheiten. Vormittags um zehn nahm er einen Teller Hühnerbrühe zu sich, nachmittags um halb drei eine Tasse Tomatensuppe, und abends nach Arbeitsende – was selten vor neun Uhr der Fall war – ging er für gewöhnlich in ein Restaurant, jeden Wochentag in ein anderes, und aß wie ein Scheunendrescher. »Probieren Sie es mit positivem Denken!«, rief er mir noch zu, ehe er hinter einer anderen, nicht ganz so gediegenen Tür verschwand.
Ich wandte mich wieder der Empfangssekretärin zu, die mit sphinxhaftem Gesicht und in unveränderter Haltung am Computer verharrt war. »Wir können weitermachen«, meinte ich.
»Dann darf ich Sie bitten, sich auszuweisen«, erwiderte sie spitzlippig.
Ich glaubte, falsch zu hören. »Ausweisen? Sie haben doch gerade miterlebt, dass mich sogar Ihr Chef wieder erkennt.«
»Das mag sein«, sagte sie. »Aber ich erkenne Sie nicht. Und ich habe meine Vorschriften.«
Ich holte meinen Ausweis hervor und knallte ihn vor sie hin. Sie prüfte ihn, zweifellos absolut vorschriftsgetreu, reichte ihn mir zurück und fuhr fort: »Ferner wäre da noch das Passwort.«
»Storuttern«, sagte ich.
Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Nicht so. Schreiben Sie es hier auf den Zettel.« Sie schob mir ein Stück Papier und einen Stift hin.
Zweifellos war auch das Vorschrift, und ich hatte keine Lust mehr auf zeitraubende Kämpfe an Nebenkriegsschauplätzen, also kritzelte ich das Wort Storuttern auf das Blatt und schob es ihr zurück. Das war der Name des Sees, in dessen Nähe Inga und ich nach unserer Flucht in einem verlassenen Ferienhaus den herrlichsten Sommer unseres Lebens verbracht hatten. Niemand außer uns beiden wusste davon.
Die Empfangssekretärin mit dem strengen Kostüm, die bestimmt nie im Leben in verlassene Holzhäuser mitten im Wald eingebrochen war, tippte das Wort in den Computer ein. Der gab eine Meldung von sich, die sie offenbar zufrieden stellte, denn sie stand auf, um mein Deposit zu holen, nicht ohne vorher das Papier mit dem Passwort sorgsam im Schlitz eines knurrenden Aktenvernichters verschwinden zu lassen. Ein paar Minuten und zwei Unterschriften später war ich mit meinem alten, versiegelten Umschlag in der Jackentasche wieder auf dem Weg nach draußen.
Als ich am schwarzen Brett vorbeikam, riss ich von dem Anschlag der Privatpension einen der Zettel mit der Telefonnummer ab. Für alle Fälle.
Aber es war schon zu spät für das, was ich mit dem Umschlag vorgehabt hatte.
Es hatte begonnen, leicht zu schneien. Die Schneeflocken waren klein und sanken kaum merklich, doch nach und nach begannen die Straßen wie bepudert auszusehen. Der Himmel war von dunklem, diffusem Grau, die Sonne versank als matter Fleck mit verwaschenen Rändern über den Häusern im Westen, und es war kalt, kalt, kalt.
Ich bestieg einen Bus, der in Richtung Kungsträdgården fuhr, was meinen momentanen finanziellen Spielraum noch einmal empfindlich einschränkte. Wie teuer alles geworden war! Düstere Gedanken über die Vergänglichkeit aller Werte zogen träge durch mein Hirn, während ich zwischen schlecht gelaunten Müttern mit riesigen Kinderwagen und finster dreinblickenden Afrikanern das Gleichgewicht zu wahren suchte.
Mein Ziel war kein Geringeres als das prunkvolle Gebäude der Svenska Handelsbanken, das an der Kungsträdgårdsgatan einen eigenen Straßenblock stellt. In der einsetzenden Dämmerung und dem Schneegestöber wirkte der kolossale Bau noch kolossaler; seine grünspanbedeckten Dächer begannen, weiß zu werden, und die Drehtüren waren in unaufhörlicher Bewegung: Leute eilten hinein und heraus, und die, die herauskamen, schlugen die Mantelkrägen hoch und stießen weiße Atemwolken aus.
Doch als ich die Schalterhalle betreten wollte, verwehrte mir ein Wachmann in martialisch schwarzer Uniform den Zugang. »Wir schließen um drei«, sagte er, die Hand am Gummiknüppel.
Ich wies auf die Halle, in der jede Menge Leute an
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