Der Nobelpreis
ausschreiben.
Ich stand auf, streckte mich wie jemand, der zu lange gesessen hat, und sah mich dabei um. Wie nicht anders zu erwarten, war jeder ausreichend mit sich selbst beschäftigt. Ich ignorierte das Schild, das einen bat, Teller und Tassen zur Theke zurückzubringen – solche Aufforderungen zu befolgen heißt, Arbeitsplätze zu gefährden –, und schlenderte auf den gläsernen Empfang zu, sorgsam darauf bedacht, nicht in das Gesichtsfeld einer der Kameras zu geraten.
Mit dem Rücken zum Schaufenster eines Geschäfts für Kinderkleider, das mit nimm 3, zahl 2 warb, studierte ich aus sicherer Distanz die Übersichtstafel neben dem Eingang. In der Tat beanspruchte die Niederlassung von Rütlipharm das gesamte neunte Stockwerk; zumindest war dort keine andere Firma mehr eingetragen. Die weitaus meisten der übrigen Firmennamen sagten mir nichts. Manche klangen auch nicht gerade nach High Tech; so residierte im zweiten Stock eine Gesellschaft, die mit Kohle zu handeln vorgab. Im achten Stock hatten sogar ein paar Ärzte ihre Praxen – ein Zahnarzt namens Henrik Ubbesen, ein Neurologe und ein Frauenarzt. Wie machten die das? Bekamen deren Patienten eine Codekarte zugeschickt?
Ich blieb stehen und wartete, beobachtete die Vorgänge in dem gläsernen Kasten unter diesem neuen Aspekt. Ich brauchte nicht lange zu warten. Aus den Gängen der weitverzweigten Passage tauchte eine junge Frau mit den unverkennbaren Anzeichen einer fortgeschrittenen Schwangerschaft auf. Sie blieb, einigermaßen kurzatmig, unmittelbar neben mir stehen, musterte mich flüchtig und betrachtete anschließend, die Hand in den Rücken gestützt, das Schaufenster des Kindermodengeschäftes, die Kleider darin und vor allem die Preisschilder, die daran hingen. Dann blickte sie auf ihre Uhr, seufzte ergeben und wandte sich um, um in den Empfang des High Tech Buildings zu watscheln, geradewegs zur Rezeption.
Ich sah genau hin, wobei ich so auszusehen versuchte, als täte ich es nicht. Sie sprach mit dem weißhaarigen Alten, der wie immer heftig nickte, auf eine wartende Aufzugskabine wies und, während die Frau hineinging, vor sich auf einen Knopf zu drücken schien. Ich ging ein paar Schritte zur Seite, sodass ich sehen konnte, wie sich die Tür schloss – die Frau fuhr allein – und wie die Stockwerksanzeige darüber hochzählte, um bei 8 stehen zu bleiben.
Mit anderen Worten, wer einen Termin bei einem der Ärzte hatte, bekam für die Fahrt dorthin einen Aufzug freigeschaltet.
Und Leute, die das Gebäude verließen, wurden überhaupt nicht kontrolliert.
Das war doch schon mal etwas.
In der Kungsgatan gab es noch immer die Teegeschäfte und Süßwarenläden, an die ich mich erinnerte, aber zwischen ihnen hatten so viele Telefonläden aufgemacht, dass man den Eindruck bekommen konnte, Telefone seien Grundnahrungsmittel geworden. Ich verlor auch ein wenig die Orientierung und musste die rechte Straßenseite mehrmals auf und ab gehen, ehe ich zwischen all den bunten Ladenfassaden den Hauseingang ausmachte, den ich gesucht hatte. In Jahrzehnten ohne Renovierungen war er bis zur Unsichtbarkeit ergraut.
» Anwaltsbüro Mårtensson « stand auf einem von pittoresker Patina überzogenen Messingschild. Daneben hingen noch andere Firmenschilder, etwa das einer Psychologenpraxis, die es schon früher gegeben hatte, und das einer Softwarefirma, die neu war.
Das schwarze Brett im Hausflur gab es auch noch immer, und ich hätte wetten können, dass der Zettel der Hausverwaltung, wann die Haustüre abzuschließen sei, derselbe war, der schon vor zwanzig Jahren da gehangen hatte, als ich das erste Mal daran vorbeigelaufen war.
An den unteren Rand des Bretts hatte jemand ein knallrotes, fotokopiertes Blatt gepinnt, auf dem eine Privatpension in Södermalm Zimmer anbot, auf Wochenbasis und inklusive Frühstück. Gemeinschaftliche Nutzung von Bad und Toilette klang zwar nicht sonderlich komfortabel, aber der Preis war ausgesprochen günstig.
Nicht so günstig freilich, wie auf Kosten meines Schwagers in einem Luxushotel zu wohnen. Ich machte, dass ich weiterkam.
Die schmale, hölzerne Treppe quietschte an Stellen, die mir bekannt vorkamen. Es war noch immer derselbe Geruch, der das Treppenhaus erfüllte, nach Bohnerwachs, Zigarrenrauch und irgendetwas Undefinierbarem, und einen köstlichen Moment lang war ich mir sicher, dass Inga nicht tot war, sondern in unserer kleinen Wohnung in Södertälje auf mich wartete.
Mårtensson hatte mich in meinem
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