Der Nobelpreis
ersten Prozess als Industriespion verteidigt. Das war im Jahr nach Olof Palmes Ermordung gewesen, als in allen Gerichtssälen eine mit Händen greifbare Nervosität geherrscht hatte. Trotzdem war es ihm gelungen, das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß um mehr als die Hälfte zu kürzen, und davon wurde noch einmal die Hälfte zur Bewährung ausgesetzt, sodass ich mit zwei Jahren hinter Gittern davongekommen war. Nach der Urteilsverkündung hatte mir Mårtensson allerdings gesagt: »Noch einmal verteidige ich Sie nicht, Gunnar. Sie sind ein hoffnungsloser Fall; Sie verderben mir bloß meine Statistik. Für alles, wofür man sonst im Leben einen Anwalt braucht, dürfen Sie kommen, aber nicht, wenn Sie sich noch einmal schnappen lassen.«
Ich habe lange gebraucht, um einzusehen, wie Recht er mit seiner Einschätzung gehabt hatte. Denn, wie gesagt: Ich liebe mein Metier.
Die Kanzlei lag im zweiten Stock, und auch hier schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Der weitläufige Empfangsraum mit den getäfelten Wänden, die düsteren Flure, die rechts und links abgingen, die gediegenen Türen aus Mahagoni und die Regale mit den in teures Leder gebundenen Gesetzbüchern dazwischen – alles war noch genau so wie dereinst.
Nur die Empfangsdame war neu.
»Ich habe hier vor Jahren einen versiegelten Briefumschlag deponiert«, erklärte ich ihr. Sie war jung, trug ein streng geschnittenes Kostüm, das sie älter aussehen ließ, als sie war, und verzog keine Miene. »Den möchte ich jetzt zurückhaben.«
»Ihr Name?«
»Gunnar Forsberg.«
»Und wann haben Sie das Depot eröffnet?«
»1996.«
Endlich ein – wenn auch unmerkliches – Heben der Augenbrauen. »Einen Moment, bitte.« Sie wandte sich ihrem Computer zu. Der war neu, seinerzeit war man noch mit einem unförmigen Notizbuch ausgekommen. »Ja, ich habe einen entsprechenden Eintrag«, bestätigte sie schließlich nach der etwa fünffachen Zeit, die man gebraucht hätte, in besagtem unförmigen Notizbuch nachzuschlagen.
»Das ist beruhigend«, sagte ich, was ihr nicht die Spur eines Lächelns entlockte.
In diesem Augenblick öffnete sich eine der gediegenen Türen im Hintergrund, und Mårtensson in höchsteigener Person kam zum Vorschein, so dick wie eh und je, und einen guten Friseur hatte er auch in den letzten sechs Jahren nicht gefunden.
»Mich soll der Teufel holen, wenn das nicht Gunnar Forsberg ist«, knurrte er, während er auf mich zugewatschelt kam. Er reichte mir die fleischige Hand. »Was tun Sie denn hier? Ich hatte Ihr ewig miesepetriges Gesicht nicht vor, na, sagen wir, 2008 zu sehen erwartet.« Ein Tove Mårtensson brauchte keine Computer, sein Kopf war seine Datenbank.
»Die schwedische Krone geruhte, mir die Reststrafe auf Bewährung zu erlassen«, erwiderte ich.
Er wedelte mit dem Aktendeckel in seiner Hand. »Ach, sieh an. Die eigentümlichen Initiativen der neuen Justizministerin. Und das betraf Sie auch? Interessant.«
»Finden Sie?«, fragte ich zurück.
»Nur meine persönliche Meinung. Denn andererseits, was geht’s mich an, ich habe Sie ja das letzte Mal glücklicherweise nicht verteidigen müssen. Dass der werte Kollege Lindeblad letztes Jahr gestorben ist, haben Sie vernommen?«
Ich gestand, dass das völlig an mir vorbeigegangen sei, und behielt für mich, dass es mir herzlich gleichgültig war. Erik Lindeblad hatte nicht nur meinen Prozess versiebt, er hatte sich auch danach nur ein einziges Mal im Gefängnis blicken lassen, einzig zu dem Zweck, mir mitzuteilen, dass er einer Berufung keine Aussichten einräumte. Was das Ende unserer anwaltlichen Beziehung bedeutet hatte.
»Nicht? Tragischer Fall, äußerst tragischer Fall. Hatte sich auf seine alten Tage noch mal in ein ganz junges Ding verliebt-eine Klientin zu allem Überfluss –, sich von seiner Frau getrennt und so weiter und so weiter, Scheidung, umgehend Heirat mit besagtem Mädchen, und drei Wochen später – tot. Die gewöhnlich gut unterrichteten Kreise wollen wissen, dass es ein Herzinfarkt im jungehelichen Schlafgemach gewesen sein soll – na ja, die üblichen Gerüchte in solchen Fällen, nehme ich an.« Mårtensson stupfte mir mit dem Aktendeckel gegen die Brust. »Und was haben Sie jetzt vor? Sind Sie schon so weit, es mal auf dem Pfad der Rechtschaffenheit zu versuchen?«
Offensichtlich plagten ihn keine großen Sorgen. Insbesondere keine, die mit letzten Familienangehörigen zu tun hatten, die in Lebensgefahr schwebten.
»Ich schlage vor«,
Weitere Kostenlose Bücher