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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ich mir zwischen Backe und untere Zahnreihe schob, und nach ein paar Anpassungen, die dafür sorgten, dass ich einigermaßen klar sprechen konnte, erkannte ich mich in dem altersfleckigen Spiegel über dem Waschbecken selbst kaum wieder.
    Dann kam die Hauptarbeit. Ich stellte mich mitten ins Zimmer, lockerte die Schultern und Arme, schloss die Augen und hörte auf, Gunnar Forsberg zu sein. Von jetzt an war ich ein Pizzabote, einer von Millionen, die es auf der Welt gibt. Ein Stressjob, der einen im Leben keinen Meter weiterbringt, einen aber immer in Bewegung hält. Die Pizzeria: ein zweites Zuhause. Nett, ein bisschen vor Beginn der Schicht zu kommen, bevor der große Run losgeht, und eine Weile mit den Jungs aus der Backstube zu reden, dem Mädchen am Telefon nachzugucken und sich vorzustellen, wie es wäre, mit ihr … Aber dann kommt der erste Auftrag, die heiße Pizza, die an ihr Ziel muss, und von da an haben im Kopf nur noch die Namen von Straßen und Gassen Platz sowie die Erfahrung, wo man um welche Uhrzeit am besten durchkommt und wo man Parkplätze findet …
    Ich betrachtete mich im Spiegel. Meine Hände zuckten unruhig, der Körper: gespannt, sprungbereit, unter Adrenalin. Pünktlich, schnell und immer auf dem Sprung. Gut. Geld hatte ich eingesteckt, ansonsten war alles, was ich brauchen würde, mein Kopf. Tür zum Flur auf. Niemand zu sehen. Zwei Sekunden später war ich draußen.
    Vor einem Pizzaservice in der Borgmästargatan legte ich meine neue Rolle vorübergehend ab, versuchte stattdessen wie ein müder Arbeiter auf dem Heimweg von der Frühschicht zu wirken. Ich schlappte hinein, bestellte eine Pizza Campagniola – Salami und Zwiebeln, meine persönliche Lieblingssorte –, wartete gähnend und blinzelnd, bis sie fertig war, und bat beim Bezahlen: »Sagen Sie, können Sie mir nicht auch eine von diesen Styproporschachteln verkaufen, in denen Sie ausliefern? Ich habe noch einen ziemlichen Weg bis nach Hause und würde die Pizza gern warm essen.«
    Das aknegeplagte Mädchen an der Kasse musterte den Stapel der graugrünen Boxen, die sich in einer Ecke neben der Tür zur Küche stapelten, und schüttelte skeptisch den Kopf.
    »Normalerweise nicht. Die brauchen wir alle.«
    »Nur ausnahmsweise. Ich kann auch ein Pfand hinterlegen oder so was und sie morgen wieder bringen.« Nicht im Traum hatte ich das vor. »Vielleicht eine, die ein bisschen kaputt ist?«
    Sie merkte, dass ich nicht locker lassen würde. Denn das würde ich nicht; von dieser Styroporschachtel hing eine Menge ab. »Ich muss den Chef fragen«, meinte sie unleidig und verschwand durch den Perlenvorhang, der der Kundschaft den Blick in die Backstube und ihre Geheimnisse erschweren sollte.
     
    Der Chef kam gleich darauf zum Vorschein, ein dicker, mehlbestäubter Mann mit großspurigem Gehabe, der Schwedisch mit südländischem Akzent sprach. »Der Kunde ist bei uns König«, erklärte er mit öliger Lässigkeit und förderte unter der Theke eine Styroporschachtel zutage, die an einer Seite aufgeplatzt war und offenbar schon als Behälter für Altpapier gedient hatte. Er schob sie mir hin. »Bitte sehr. Und guten Appetit.«
    »Was bin ich Ihnen schuldig?«
    »Geht aufs Haus«, erwiderte er schmalzig.
    Ich griff zu. »Ich werde Sie weiterempfehlen«, log ich, was ihn zu einem erfreuten Grinsen veranlasste.
    Anschließend fuhr ich mit meiner Pizzabox per U-Bahn und Bus zur Sergelgatan, ohne die neugierigen Blicke anderer Fahrgäste zu beachten. Ich eilte durch die Passage zum High Tech Building und dort in den Empfang, wobei ich auf den letzten Metern vollends in meine Rolle schlüpfte und versuchte, so zu wirken, als sei das alles Routine, mindestens die zwanzigste Pizza des Tages und als stünde mein Auto mit laufendem Motor im absoluten Halteverbot.
    Der Portier musterte mich indigniert. »Eine Pizzabestellung?«, wiederholte er in einem Tonfall, als liefere ich Sondermüll an. »Davon weiß ich nichts.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich war nur der Bote und hatte es einfach nur eilig. »Tja. Is’ aber so.« Ich schob ihm die Rechnung der Pizzeria hin, die ich mit einem Kugelschreiber zu einer, wie ich fand, überzeugend wirkenden Bestellung ergänzt hatte. »Hier. Johannson, neunter Stock, Firma Rütlipharm.«
    Der Mann hinter der Teakholztheke ging noch einmal seine kurze Anmeldeliste durch, die natürlich keinen entsprechenden Vermerk enthielt, genauso wenig wie eine Minute zuvor, als er sie das letzte Mal durchgegangen war.

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