Der Nobelpreis
Geschäft bleiben wollen.
»Okay«, sagte ich. »War nur eine Frage, die mich beschäftigt hat.«
»Na, freut mich, dass ich zu deinem Seelenfrieden beitragen konnte.« Fahlander klappte den obersten Mappendeckel unentschlossen auf und zu. »Wie wollen wir das Bürokratische handhaben? Nächste Woche wieder? Selbe Zeit?«
Nächste Woche um dieselbe Zeit wollte ich mindestens zwei Leute umgebracht und ein vierzehnjähriges Mädchen aus ihren Klauen befreit haben. »Muss das sein?«
Er seufzte matt. »Du weißt doch. Ich muss meinen Haken auf die Liste machen – erschienen, Gespräch stattgefunden und so weiter. Und du hast Anrecht auf einen ganzen Strauß staatlicher Hilfen, nicht zu vergessen.«
Ich sagte zu, der Möglichkeiten eingedenk, die Fahlander hatte, falls ich ihm die Laune verderben sollte. Er gab mir noch ein paar warme Worte mit auf den Weg, dann konnte ich endlich gehen.
Auf dem Rückweg ging ich durch Vasaparken und fand eine einsame Bank, kalt und wenig einladend. Ich setzte mich trotzdem und zog mein Notizbuch heraus: Einst ein Informationsspeicher von unschätzbarem Wert, in Jahren sorgsamer Pflege herangezüchtet, war sein Inhalt inzwischen vermutlich weitgehend veraltet. Ich blätterte darin, bis ich die Telefonnummer von jemandem fand, der wissen mochte, was aus Dimitri geworden war. Dann zückte ich mein Telefon und rief ihn an. Praktische Sache. Ich hatte in alle Richtungen wenigstens fünfzig Meter freie Sicht und konnte sicher sein, nicht belauscht zu werden.
Der Mann hieß Leonid und war ein sesshafter Mensch, zumindest war er noch unter seiner alten Nummer zu erreichen. Er war erst misstrauisch. Ich musste ein paar Fragen über Dimitri beantworten, über die nur dessen engster Bekanntenkreis Bescheid wissen konnte, bevor er mit Informationen herausrückte. Dimitri habe untertauchen müssen, erzählte er, weil die Fahndung nach ihm wieder verstärkt worden sei. Lange Jahre hatte Ruhe geherrscht, weil die russische Polizei mit anderen Dingen zur Genüge ausgelastet gewesen war. Aus irgendwelchen Gründen hatte man sich aber vor nicht allzu langer Zeit wieder seiner erinnert und ein Ersuchen um Amtshilfe an die schwedischen Behörden gerichtet, das diese mit wildem Eifer erfüllte, als seien ähnliche Ersuche in die andere Richtung noch nie sang-und klanglos versickert oder schlicht ignoriert worden.
»Aber er ist doch garantiert noch in Schweden, oder?«, fragte ich.
»Bestimmt«, sagte Leonid. »Aber wir wissen nicht, wo. Er hat sich seither nicht mehr gemeldet.«
Dimitri wurde in Russland wegen eines Computerdelikts mit politischen Dimensionen gesucht. Er war nach Schweden geflüchtet, erstens weil Schweden in Sachen Flüchtlingspolitik und Asyl seit jeher einen guten Ruf genoss, und zweitens und eigentlich, weil er rettungslos auf den skandinavischen Frauentyp stand. Eine Zuneigung, die meines Wissens nur unbefriedigend erwidert wurde. Trotzdem war Dimitri aus Schweden nicht wegzukriegen; im Gegenteil. Allem Ärger zum Trotz träumte er mit bewundernswerter Hartnäckigkeit von einer Ehefrau mit langen, blonden Haaren.
»Es ist auch besser, er meldet sich nicht«, fuhr Leonid fort.
»Wir merken immer wieder, dass wir überwacht werden. Sie scheinen es diesmal ziemlich ernst zu meinen.«
»Hmm«, machte ich. Es konnte gut sein, dass diese Geschichte in Russland nicht der wirkliche Anlass war. Ich wusste ein paar Sachen über Dimitri, die Leonid wahrscheinlich nicht wusste. Seit er in Schweden lebte, hatte er ja nicht aufgehört, mit Computersystemen Dinge anzustellen, die gegen Gesetze verstießen. Von irgendetwas hatte er schließlich leben müssen. Und einige dieser Aktionen waren sehr dazu geeignet gewesen, den Unmut staatlicher Organe zu erregen.
Ich beendete das Telefonat, starrte in den grauen Novembertag und fluchte erbittert vor mich hin. Dimitri war der beste Hacker, den ich je kennen gelernt hatte. Genial geradezu. Ich hätte seine Hilfe verzweifelt gut brauchen können.
Doch natürlich war er verschwunden. Wie schon so oft in meinem Leben stand die Welt gegen mich.
Eine Weile saß ich unentschlossen da und hing meinen trüben Gedanken nach, als mir aus irgendeinem Grund der Name Reto Hungerbühl wieder einfiel. Der hatte ganz schön schräge Dinge in seinem Safe gehabt, wenn man es recht überlegte. Da konnte man sich doch die Frage stellen, was eigentlich noch über diesen Mann bekannt war.
Ich zückte das Telefon, aber dann fiel mir ein, dass es vielleicht
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