Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
Alkohol in Mengen, die jeden anderen tot umfallen lassen hätten. Richtig betrunken hatte ich ihn allerdings nie erlebt. Ich glaube, das hat er immer in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung erledigt.
    Natürlich verdiente er als Sozialarbeiter nicht annähernd genug dafür. Deshalb erpresste er seine Klienten, und entwickelte eine erstaunliche Geschicklichkeit darin, es nicht so aussehen zu lassen, als sei es Erpressung. Er hatte mir zum Beispiel nie offen gedroht, falsche Verstöße zu erfinden und mich damit zurück in den Knast zu schicken. Ich kenne auch niemanden, dem er so gekommen ist. Aber mir war immer klar gewesen, dass er das tun konnte und auch tun würde, wenn ich Widerstand leistete.
    Widerstand leisten wollte ich aber sowieso nicht. Ich war siebzehn, als ich das erste Mal mit ihm zu tun hatte, und die Welt der Betriebsspionage, in die er mich hineinlotste, faszinierte mich von Anfang an maßlos. Und dass er seinen Anteil einstreichen wollte, hatte mir stets eingeleuchtet.
    Auch bei anderen Schützlingen hatte er es in ähnlicher Weise verstanden, deren besondere Fähigkeiten einträglichen, allerdings selten legalen Nutzungsmöglichkeiten zuzuführen. Logischerweise hatte Per Fahlander die schlechteste Rückfallquote aller Bewährungshelfer weit und breit. Allein dadurch hätte auffallen müssen, dass etwas nicht stimmte, und wahrscheinlich war es auch aufgefallen – bloß hatte es keine Konsequenzen. Denn das System redet zwar viel von Sorge und Unterstützung, doch in Wirklichkeit sind ihm die Schicksale offenkundig nutzloser Menschen gleichgültig; es umsorgt und unterstützt nur sich selbst.
    Ich kam vier Minuten zu spät, was er nicht weiter kommentierte. Sein Büro war immer noch dasselbe wie vor zwanzig Jahren, ein enges, kleines Gelass mit sinnlos hohen Wänden und einem Blick auf graue Gebäude mit grauen Fenstern, hinter denen vermutlich ähnliche Gelasse lagen. Doch zu meiner Verblüffung waren die dunklen, abgeschabten Möbel verschwunden, die zu Fahlander gehört hatten wie der ewige Geruch von Pfefferminzpastillen, und hellem, leicht wirkendem Mobiliar gewichen. Auf dem Fensterbrett standen sogar einige Pflanzen, die kein bisschen vertrocknet aussahen; dass Fahlander mit Wasser umgehen konnte, war mir neu.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell wiedersehe«, meinte Fahlander, als wir saßen und er meine beträchtliche Akte aus dem Schrank gekramt hatte.
    »›Schnell‹ ist nicht unbedingt das Wort, das mir einfallen würde, wenn es um einen Zeitraum von sechs Jahren geht«, erwiderte ich.
    »Ja, okay. Mir ist halt kein anderes eingefallen.«
    Er hatte sich verändert. Er hatte sein Haar immer zu einem Pferdeschwanz gebunden getragen, und als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren erste graue Strähnen darin gewesen. Inzwischen war er völlig ergraut, und er trug es kurz geschnitten, was ihn paradoxerweise sogar jünger wirken ließ. Fahlander war die Art auffällige Erscheinung, an die sich jeder erinnert, egal wo. Kein Wunder, dass er sich Hilfskräfte hatte heranziehen müssen; auf sich allein gestellt, wäre er für jede kriminelle Karriere ungeeignet gewesen.
    Wir brachten das Meldetechnische hinter uns. Er notierte meine neue Adresse, heftete das Blatt in den Ordner ein, sah auf und bemerkte meinen abwartenden Blick. Er winkte ab.
    »Vergiss es. Ich bin nicht mehr in dieser Branche tätig.«
    Klar. Und der Mond bestand neuerdings aus Käse. »Ich glaub dir kein Wort.«
    »Dann lass es bleiben.« Er streckte und dehnte die Schultern, als seien sie verspannt. »Auch wenn du dir das vielleicht nicht vorstellen kannst, das gibt es, dass Menschen in sich gehen und versuchen, ihr Leben zu ändern. Sich selbst zu ändern. Ihre Einstellung den Dingen gegenüber.«
    »Und was genau ist passiert? Hat die Stimme des Herrn zu dir gesprochen?«
    Fahlander schüttelte müde den Kopf. »Es ist nichts Besonderes passiert. Ich hatte eben eine Einsicht. Was für ein Scheißleben ich lebe. Und dass ich selber dafür verantwortlich bin. Und wenn du eine wirkliche Einsicht hast, dann bleibt das eben nicht ohne Folgen.« Er wies auf die neuen Möbel, die das Büro doppelt so groß wirken ließen, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. »Ich bin seit fast zwei Jahren trocken, falls es dich interessiert.«
    Ich hob die Augenbrauen. »Das nenne ich allerdings mal eine Neuigkeit.«
    »Du brauchst nicht krampfhaft nach einer witzigen Bemerkung zu suchen, ich kenne sie inzwischen alle.« Er

Weitere Kostenlose Bücher