Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
doch sicherer war, diesen Anruf von einer Telefonzelle aus zu tätigen. Zeitungsredaktionen pflegen Telefonanlagen jeweils neuester Technik zu besitzen, und ich hätte jede Wette gehalten, dass die Aufzeichnung von Rufnummern inzwischen längst zu deren Standardumfang zählte.
    Ich fand sogar eine Telefonzelle, in der das Telefonbuch nicht gestohlen worden war. Was keine Rolle spielte, denn die Nummer des AFTONBLADET war immer noch dieselbe.
    »Das Zeitungsarchiv bitte, Anders Östlund«, verlangte ich, als sich die Zentrale meldete.
    Ich wurde verbunden, doch die Stimme, die ich ans Ohr bekam, war weder die Östlunds noch die seiner faulen, vollbusigen Praktikantin. »Anders Östlund arbeitet nicht mehr hier«, erklärte mir eine brummige Frauenstimme.
    »Das kann nicht sein«, sagte ich. »Ich habe ihn gestern Mittag besucht, und da hat er noch gearbeitet.« Was Anders Östlund eben so unter Arbeit verstand.
    Sie hustete ausgiebig. »Also, ich weiß nur, dass er zum Jahresende gekündigt hat und Resturlaub abfeiert. Gestern war sein letzter Arbeitstag.«
    Gekündigt? Anders Östlund, der nur noch ein paar Jahre bis zur Rente hatte? Das konnte nur eine Lüge sein, wenn ich jemals eine gehört hatte.
    Ich hängte mit dem deutlichen Gefühl auf, dass das kein Zufall war.

KAPITEL 28
    Als ich zurück in die Pension kam, war der Flur erfüllt von Fernsehlärm aus der Küche. Ich schloss die Wohnungstür hinter mir. Mit Fernsehen kann ich nichts anfangen; es macht mich nervös und lässt mich unruhig schlafen. Wahrscheinlich muss man die raschen Bilderwechsel von Kindesbeinen an gewöhnt sein, und mir geht diese Art Training eben ab. Ich wollte mich gerade in mein Zimmer verdrücken, als aus dem Strom der Worte ein Name herausstach: »Professor Hernández Cruz …«
    Nun musste ich doch zumindest nachschauen.
    Anders als ich erwartet hatte, saß nicht die Vermieterin am Küchentisch und starrte in den kleinen Schwarzweißfernseher auf dem Kühlschrank, sondern ein magerer Mann mit dunkelbraunem, wallendem Vollbart. Er hatte ein weißes Hemd mit gefältelter Brust an, wie man es allenfalls zum Smoking trägt, und aß mit spitzen Fingern etwas, das ich erst auf den zweiten Blick und anhand des Geruchs als in Stifte geschnittene Kohlrabi identifizierte.
    »Die Nobelpreisträgerin«, sagte er an Stelle einer Begrüßung und deutete auf den Bildschirm.
    »Ah ja?«, meinte ich und betrachtete das Bild auf der Mattscheibe. Ein Moderator, der mir vage bekannt vorkam, und eine dunkelhaarige, hoch gewachsene und nicht mehr ganz junge Frau saßen sich an einem dreieckigen Tisch gegenüber und führten eine Unterhaltung auf Englisch. Sie war schwedisch untertitelt, fand also offenbar nicht live statt.
    »Haben Sie sich schon einmal gefragt«, führte die Frau gerade mit einer gelassen wirkenden Geste aus, »wie eigentlich sexuelle Attraktion entsteht?«
    Verkehrte Welt. War es nicht Aufgabe des Interviewers, Fragen zu stellen, und die des Interviewten, sie zu beantworten? Der Moderator grinste aber nur anzüglich und spielte das Spiel mit.
    »Also, natürlich kann ich da nur aus eigener Erfahrung sprechen, aber bei mir fängt sexuelle Attraktion immer damit an, dass mir eine schöne Frau begegnet …«
    Gelächter brandete im Studio auf.
    Der Bärtige am Küchentisch wischte sich die Hand an der Hose ab und streckte sie mir hin. »Sie sind der neue Mieter, nicht wahr? Mein Name ist Tollar. Ich habe das Zimmer neben ihnen.«
    Ich zögerte, schlug dann aber ein. »Gunnar Forsberg.« Ich nickte zum Bildschirm hin. »Um was geht’s da?«
    »Ein altes Interview.« Tollar griff nach dem nächsten Stück Kohlrabi. »Vor fünf Jahren oder so hat sie eine Auszeichnung in England bekommen. Von damals ist das. Nächste Woche kommt sie nach Stockholm.«
    »Verstehe«, meinte ich.
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, lächelte die dunkelhaarige Frau, als das Gelächter im Publikum versiegte, »aber ich will auf etwas anderes hinaus. Ich meine, haben Sie sich schon einmal gefragt, wie sexuelle Attraktion in Ihr Leben tritt? Denken Sie an Ihre Kindheit. Als Sie noch ein Kind waren, da fanden Sie Mädchen hässlich. Der Anblick einer nackten Frau war allenfalls befremdlich, vielleicht sogar abstoßend. Der bloße Gedanke an einen Zungenkuss hat Sie geekelt. Sie haben sicherlich schon damals die Erfahrung gemacht, dass sich Ihr Glied ab und zu versteifte, doch die Vorstellung, es in diesem Zustand in den Körper eines anderen Menschen zu stecken,

Weitere Kostenlose Bücher