Der normale Wahnsinn - Roman
Ich wollte dich einfach nicht mehr länger diesen Leuten überlassen. Denk doch nur daran, was die dir angetan haben, um Gottes willen.«
»Komisch nur, dass du erst aktiv wurdest, als sie dich mit der Rechnung konfrontierten.«
»Das ist nicht fair. Das ist einfach –«
Ich unterbreche mich, weil mein Handy in der Tasche zu vibrieren beginnt.
Ali : Ich beobachte ihn beim Telefonieren. Es ist eine sehr einseitige Unterhaltung. Ab und an gibt Paul ein Grunzen von sich, gelegentlich auch ein Ja. Ich sollte mich bei ihm entschuldigen, wenn er fertig ist. Ich hab mich mit ihm angelegt, weil sonst niemand da war, an dem ich meinen Frust auslassen konnte – so wie es eigentlich immer war, seit wir die dumme Idee hatten, Kinderbekommen zu wollen. Das Telefonat ist in weniger als einer Minute beendet.
»Wer war das?«, frage ich ihn. »Dein Verleger, der gern einen Tausend-Zeichen-Artikel zur Situation der Schulen von dir hätte?«
Tolle Entschuldigung, was?
»Nein … Nein, das war …«, beginnt er zögernd. »Das war der Embryologe aus der Portman-Klinik. Es ging um deine … Eizellen. Es konnten alle drei befruchtet werden. Damit hätten wir also drei Embryos.«
Das ist ein Ding. Nie zuvor hatten wir drei Embryos nach einer Behandlung. Zwei war mal das Höchste in all den Jahren. Paul scheint genauso erstaunt wie ich zu sein, denn er sagt kein Wort mehr.
»Drei«, sage ich lahm.
»Die Klinik will wissen, was sie jetzt damit machen sollen«, sagt er schließlich.
»Jesus«, entfährt es mir, und ich sinke mit dem Kopf zurück aufs Kissen.
Ich bemerke, dass sich Paul auf der Bettkante niederlässt. Dann nimmt er meine Hand. Es ist der Arm, in den man die Infusionskanüle gelegt hatte, und er fühlt sich noch ein bisschen wund an. »Sieh mal, wir müssen das nicht gleich entscheiden«, sagt er sanft. »Sie können die Eizellen ja einfrieren lassen, und wir können –«
»Sei still, Paul, sei einfach still!« Erschrocken sieht er mich an. »Oder glaubst du ernsthaft, ich lasse Bose noch mal an mir herumpfuschen? Die können sich ihre Embryos von mir aus ausstopfen lassen, im Klo runterspülen, auf Ebay verkaufen oder sonst was mit ihnen anstellen, es ist mir egal.«
»Es sind aber nicht ihre Embryos, Ali«, erwidert er, noch immer mit dieser irritierend einlullenden Stimme. »Sie gehören uns . Und wir müssen in dieser Sache ja auch nicht zurück in die Portman-Klinik. Falls wir beschließen, sie zu verwenden, können wir das in jeder anderen Klinik tun …« Seine Worte versickern, vermutlich in Anbetracht des ungläubigen Ausdrucks auf meinem Gesicht. »Wie dem auch sei«, fährt er schließlich fort, »das hier ist sicherlich nicht der beste Zeitpunkt für eine Entscheidung.«
»Oh doch. Das ist sogar der perfekte Zeitpunkt dafür«, schreie ich. Eine Krankenschwester sieht nervös zu uns hin, doch ich ignoriere sie. »Ich bin dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Das Schicksal hat mir eine zweite Chance gegeben, und ich finde, das ist genau der richtige Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen und eine Kursänderung vorzunehmen.«
Er antwortet nicht. Das macht er selten, wenn ich in Fahrt bin.
»Und was mich betrifft, ich bin zu einer Entscheidung gelangt«, fahre ich fort. »Ich möchte kein Kind mehr. Nicht jetzt, nicht morgen, niemals.«
»Lass uns darüber reden, wenn du wieder zu Hause bist, okay?«
»Nein«, sage ich. »Wir werden niemals wieder darüber reden, hast du mich verstanden, Paul? ICH WILL KEIN KIND MEHR!«
»Und ich hab dazu überhaupt nichts mehr zu sagen?«, fragt er mich – ruhig. »Das sind doch unsere Emb…!«
»SEI STILL!«
Und dann ist er still.
»Okay, Paul, und jetzt geh bitte und lass mich allein.«
Die nervöse Krankenschwester taucht neben meinem Bett auf. »Ich denke, Sie sollten besser gehen«, sagt sie zu Paul. »Ihre Frau braucht jetzt wirklich Ruhe, und die anderen Patienten –«
»Keine Sorge, ich bin schon so gut wie weg«, sagt er. Spricht’s, erhebt sich und verlässt den Krankensaal. Dieser verdammte Feigling.
Paul : Tja, wenn es das erste Mal gewesen wäre … Wenn sie nicht schon früher auf diese Art und Weise ausgeflippt wäre … dann wäre ich jetzt vielleicht ein bisschen versöhnlicher. Würde mich daran erinnern, was sie durchgemacht hat – der Schmerz, dieTodesangst –, und mir sagen, dass sie jedes Recht hat, so zu reagieren. Aber es ist eben nicht das erste Mal. So geht das jetzt schon seit fünf Jahren, und ehrlich
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