Der normale Wahnsinn - Roman
nicht? Außerdem brauchst du frische Kleidung, wenn du wieder nach Hause fährst.«
»Ich möchte aber nicht, dass du dir diese Mühe machst … bitte«, sagt er. »Jemand von der Firma soll mein Gepäck abholen und die Rechnung begleichen, das ist das Mindeste, was sie mir schuldig sind.«
Man hatte ihn wegen einer blöden Verkaufsmesse nach London geschickt. Er wollte gar nicht fahren und meinte zu mir, er hätte das nun schon fünf Jahre hintereinander gemacht und dass das jetzt mal jemand anders erledigen könnte. Aber nachdem sie vor ein paar Monaten noch mehr Leute entlassen haben, wollte er in diesem Jahr keinen Aufstand mehr machen. Na ja, vielleicht war ihm sein Zusammenbruch ja eine Lehre. Wenn die ganze Sache etwas Gutes hat, dann vielleicht die Erkenntnis, dass die eigene Gesundheit immer an erster Stelle zu stehen hat. Vielleicht lässt er es beim nächsten Mal ein bisschen ruhiger angehen. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, dass man ihn nicht mehr so hart rannimmt wie bisher. Ich will ihn nämlich nicht verlieren. Nein, ich bin noch lange nicht fertig mit ihm!
»Kommt nicht in Frage, das werde ich erledigen, Phil«, sage ich. »Ich will es.«
»Aber ich möchte nicht, dass du dir noch mehr Umstände machst«, entgegnet er. »Schlimm genug, dass du überhaupt herkommen musstest.«
»Ich bitte dich … Ich hole dein Gepäck ab, und damit basta.«
Er zuckt mit den Achseln. Normalerweise bin ich nicht so durchsetzungsfähig, aber in dieser Lage hat er meinem Wunsch wenig entgegenzusetzen.
»Wo ist denn das Hotel überhaupt?«, frage ich.
»Beim Olympia Exhibition Centre«, sagt er. »In der Nähe des Messegeländes. Das findest du nie.«
»Natürlich finde ich es. So weit kann es nicht entfernt sein, wenn das hier das nächstgelegene Krankenhaus ist.«
»Wir sind hier aber nicht in Wetherby«, grummelt er. »In London sind die Wege etwas länger, weißt du.«
Wir schweigen und lassen den Blick schweifen. Irgendwo im Krankensaal erhebt jemand seine Stimme. Es ist die Frau, die auf der Trage ins Krankenhaus gerollt wurde, als ich gestern hier eintraf. Man hat sie in den Saal gebracht, kurz nachdem ich hier auftauchte, und von da an hing sie die meiste Zeit am Tropf, während ein großer Bluttransfusionsbeutel zu ihrem Arm führte, den die Schwester regelmäßig austauschte. Die Frau sah aus wie eine wandelnde Tote, aber jetzt scheint es ihr wieder besser zu gehen, denn gerade staucht sie den Mann zusammen, der neben ihrem Bett steht. Das kann kein Arzt sein, denn er trägt keinen weißen Kittel, dafür einen Pappbecher mit Tee oder Kaffee in der Hand. Vielleicht ihr Ehemann.
»Ich weiß, was du da gerade denkst«, meint Phil.
»So? Was denn?«, frage ich.
»Du stellst dir gerade die Lebensgeschichte dieses Paares vor, hab ich Recht? Vermutlich hast du dir auch schon Namen für sie ausgedacht, stimmt’s?«
Er hat mich kalt erwischt. Und ja, ich bin einfach ein neugieriger Mensch.
Paul : »Müssen wir das hier … ich meine, vor dem ganzen Krankenhaus ausdiskutieren?«, frage ich. »Kann das nicht warten, bis wir wieder zu Hause sind?«
»Nein, das kann es nicht«, sagt sie. »Ich bin nicht wie du. Wenn ich was auf dem Herzen habe, dann muss es einfach raus – sofort. Ich kann Probleme nun mal nicht aufschieben, bis die Umstände dafür passend erscheinen.«
Ich muss schwer an mich halten. Normalerweise verliere ich nicht so leicht die Beherrschung, aber die letzten Tage … Mehr Stress als sonst, keine Frage.
»Schau mal, Ali, ich meine es doch nur gut«, sage ich. »Wenn du zu früh wieder arbeitest, verzögerst du damit vielleicht deine Genesung, was wiederum weder für dich noch fürs Geschäft gut ist. Sei doch vernünftig.«
»Mir geht’s aber gut, und ich bin wieder vollständig gesund, okay?«, schnappt sie. »Und wie kommst du eigentlich plötzlich dazu, mir sagen zu wollen, was ich zu tun und zu lassen habe?«
»Das tue ich doch gar nicht, ich schlage lediglich vor, dass –«
»Blödsinn. Nach all den Jahren, in denen du kleinlaut alles getan hast, um mir zu gefallen, schwingst du dich plötzlich zu meinem Aufpasser auf.«
»Wie bitte?«
»Und das nicht zum ersten Mal. Gestern, als du mich einfach aus der Portman-Klinik geholt hast, da war ich so gut wie tot, Paul, und als Nächstes erinnere ich mich daran, dass ich im Krankenwagen durch die halbe Stadt kutschiert werde. Nur, weil du es so wolltest.«
»Ja, in ein Krankenhaus, das dir dann das Leben gerettet hat.
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