Der normale Wahnsinn - Roman
wiederum ein Sohn von Sethos I. war und so weiter und so fort. Keine Frage, die Frau kannte sich in altägyptischer Geschichte aus. Oder vielleicht kannte ich mich ja aus, und habe ihr diese ganzen Dinge unter Hypnose erzählt? Dinge, die durchaus schmeichelhaft sind, aber … ich bitte Sie, eine Prinzessin? Und wenn sich herausgestellt hätte, dass ich mal Magd in einer Spülküche war, hätte sie’s mir dann auch erzählt? Eine solche Information wäre wohl kaum die fünfundsiebzig Pfund wert gewesen, die ich ihr bezahlt habe, oder? Doch warum erwähne ich das eigentlich? Wie ich schon sagte, ich fühle mich schrecklich töricht wegen der Sache. Zudem habe ich kaum Zeit, mich den Problemen in dieser Zeit zu stellen, geschweige denn, mich zu fragen, was ich in einem früheren Leben wohl getan haben mag.
Die Aufzugtür öffnet sich, und ich betrete die Rezeption. Corinne steht bei der Drehtür und verabschiedet einen ihrer Klienten. Corinne Tate Tait. Es geht das Gerücht, dass entweder das »Tate« oder das »Tait« in ihrem Nachnamen ein Witz ist – ein ironisierter Postmodernismus oder so –, obwohl ich, unter uns gesagt, den Sinn dahinter nicht ganz verstehe. Wie dem auch sei, Corinne ist ziemlich außergewöhnlich. Nicht zuletzt, weil sie der jüngste weibliche Partner in der Geschichte von Bancroft Brooks ist – eine Firmengeschichte, die sehr, sehr lange zurückreicht. Bis vor die Zeit des Zweiten Weltkriegs, wenn ich mich recht erinnere. Tatsächlich hat es bis in die späten Neunziger des 20. Jahrhunderts keinen einzigen weiblichen Partner in der Kanzlei gegeben, wenn man einmal von Barbara Kipps absieht, die fast schon zum Inventar gehört. Wahrscheinlich steht sie sogar unter Denkmalschutz. Wie diese alten Häuser, in denen man nicht mal Vorhänge anbringen darf, ohne sich vorher eine offizielle Genehmigung einzuholen. Das erinnert mich an Diane, die Frau, mit der ich mich gleich zum Lunch treffe. Sie zog in ein altes Haus in Greenwich, riss ein paar Wände ein und ließ sich eine Fünfzigtausend-Pfund-Bulthaupt-Küche einbauen. Wodurch das Ganze meiner Meinung nur gewonnen hatte. Wie auch immer, kurz darauf musste sie das Schmuckstück wieder rausreißen, weil es das Denkmalamt oder sonstwer so wollte. Empörend, wenn Sie mich fragen, aber ich schweife ab. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei Corinne . Man kann über sie sagen, was man will, aber mit achtundzwanzig Jahren zum Partner berufen zu werden, das ist schon was. Ich denke, ein bisschen geht das auch auf mein Engagement zurück. In den sieben Jahren, die ich hier arbeite, habe ich mich immer sehr dafür eingesetzt, das Klima für die weiblichen Angestellten spürbar zu verbessern. Kurz: die Kanzlei in einen Ort zu verwandeln, an dem es Frauen wie Corinne möglich ist, ein Zeichen zu setzen. Andererseits wäre es auch merkwürdig gewesen, wenn man sie übergangen hätte. Ein Oxbridge-Genie wie sie, das auch noch fantastisch aussieht. Wunderschöne Augen – die mich komischerweise immer an Marco erinnern – und Vogue-reife Wangenknochen. Heute trägt sie einen superschicken violetten Seidenanzug von Valentino, wie ich annehme. Nicht gerade das, was man in einer Anwaltskanzlei erwarten würde, aber einer Frau wie ihr wird man jede modische Eskapade nachsehen. Ihr Kunde, ein untersetzter kleiner Mann, scheint der gleichen Meinung zu sein, so eindringlich und devot, wie er unablässig ihre Hand schüttelt.
Als ich an den beiden vorbeigehe, dreht sich Corinne zu mir um, was der untersetzte Mann zum Anlass nimmt, davonzugehen. »Kate«, sagt sie und legt eine Hand auf meinen Arm. »Gut, dass ich Sie treffe. Haben Sie meine E-Mail-Einladung zum Umtrunk erhalten?«
»Umtrunk?« Vor lauter Arbeit hab ich es glatt versäumt, heute Morgen meinen Posteingang zu checken.
»Ja, wir treffen uns gegen 17 Uhr in meinem Büro. Ich dachte, es wäre nett, mit den Kollegen auf meinen Geburtstag anzustoßen.«
Geburtstag? Verdammt, wie konnte ich das nur vergessen? Beziehungsweise, wie zum Teufel konnte Pamela vergessen, mich daran zu erinnern? Sie hat eine Liste mit allen wichtigen Geburtstagen, und es ist ihre Aufgabe, mich rechtzeitig auf diese Termine aufmerksam zu machen.
»Ja, natürlich, herzlichen Glückwunsch, meine Liebe«, sage ich, während ich sie umarme und versuche, Zeit zu schinden. Denk nach, Kate, denk nach . Ausgerechnet heute wollte ich früher Schluss machen, um zu Cameron ins Krankenhaus zu fahren. Ist Lungenentzündung
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