Der normale Wahnsinn - Roman
eine akzeptable Entschuldigung, einem Treffen fernzubleiben, an dem alle wichtigen Menschen in diesem Büro teilnehmen werden? Wie zum Teufel soll ich das wissen? Ich erinnere nur an den Fall Laura Weiss … Oder West? Oder Wesley? Egal, hab den Namen vergessen. Jedenfalls hatte ihr kleiner Sohn Leukämie, und ich half ihr, wo ich nur konnte, alle möglichen Ausreden zu finden, sich von der Arbeit zu entfernen. Was, wie ich Ihnen versichern kann, alles andere als einfach war. Die Firma verhielt sich natürlich überaus »unterstützend«, aber als der Kleine dann aus dem Gröbsten raus war und sie wieder voll in die Arbeit einsteigen konnte, da fand sie sich plötzlich auf dem Abstellgleis wieder. Von der Überholspur auf dem Weg zur Partnerschaft in eine Sackgasse befördert. Wo ist sie jetzt? Wer weiß das schon? Wer weiß eigentlich irgendwas?
»Dann kommen Sie also auch, ja?«, fragt mich Corinne mit einem umwerfenden Lächeln. Ob sie sich die Zähne hat bleichen lassen?
»Ich stecke bis zum Hals in Arbeit, aber ich versuche es«, sage ich.
»Bitte machen Sie es doch möglich. Ohne Sie wäre es nicht dasselbe. Wir Frauen müssen doch zusammenhalten in diesem testosterongeschwängerten Turm der Macht.«
»Ich tue mein Bestes«, versichere ich ihr.
»Arbeitsessen«, fragt sie mich mit Blick auf die Aktenmappe, die ich in meiner Tasche zu verstauen suche.
»Ja, so was in der Art«, erwidere ich.
»Na, dann viel Spaß.«
Ich wende mich zum Gehen.
»Ach, übrigens, Kate«, ruft mir Corinne hinterher. »Du hast eine Laufmasche.«
Diese blöde Pamela. Dafür werde ich sie eigenhändig erwürgen. Ich schiebe mich in die Drehtür, renne die Stufen vor dem Gebäude hinunter und mache mich auf die Suche nach einem Taxi. Auf der Straße fische ich mein Handy aus der Tasche und rufe Pamela an.
»Guten Tag, Büro von Kate Lister, wie kann ich Ihnen –«
»Warum zum Teufel haben Sie mich nicht an Corinnes Geburtstag erinnert?«
»Aber das habe ich getan«, erwidert sie. »Schon vor Tagen habe ich Ihnen ein entsprechendes Post-It in den Terminkalender geklebt.«
»Nun gut, Sie müssen mir ein Geschenk organisieren. Corinne veranstaltet um 17 Uhr einen Umtrunk in ihrem Büro.«
»Aber Sie werden doch ohnehin nicht hingehen können –«
»Egal, ob ich teilnehmen werde oder nicht, ich muss ihr nun mal was schenken, Punkt, aus.«
Pam : Ach du liebe Güte, jetzt auch noch der Geschenk-für-Corinne-Alptraum. Letztes Jahr hat Kate ihr einen Stringtanga geschenkt. Ein türkisfarbenes Seidending, ganz süß, aber nichts Besonderes. Kate gibt nicht gern Geld aus, und bei La Senza lief gerade die »Zwei zum Preis für eins«-Aktion. Na und? Es ist der Gedanke, der zählt, und es war ein entzückendes Geschenk. Ich jedenfalls hätte mich sehr darüber gefreut. Tatsächlich erhielt ich am darauffolgenden Weihnachten die Chance, mich darüber zu freuen, weil ich da nämlich den anderen String von ihr geschenkt bekam. In Pink. Hab ihn nie getragen, weil er mir ein bisschen zu knapp war, aber ich hab mich trotzdem darüber gefreut.
Okay, zurück zum Geschenk-für-Corinne-Alptraum. Kate schenkte ihr den String, und sechs Wochen später – an Kates Geburtstag – überreichte ihr Corinne eine dieser Beauty-Geschenkboxen von Space NK. Und wir alle wissen ja, dass die ein Vermögen kosten. Kate war am Boden zerstört. Kam den ganzen Tag nicht aus ihrem Büro. Und zu Weihnachten dann hat sie den Vogel abgeschossen und Corinne einen Cashmere-Cardigan besorgt. Sie hat mir nicht gesagt, was das Ding gekostet hat, aber er war von Whistles, also konnte ich’s mir denken. Ich habe Corinne die Strickjacke allerdings nicht ein Mal tragen sehen. »So ein Cardigan ist fürs Büro vielleicht nicht seriös genug«, hat Kate gemeint. Andererseits ist Corinne die einzige Mitarbeiterin hier, die sich noch nie um den Dresscode eines Anwaltsbüros geschert hat. Jeder hier, Kate eingeschlossen, scheint zu denken, dass Corinne die Sonne aus ihrem Was-auch-immer scheint, aber ich bin mir da nicht so sicher. Ich will’s mal so ausdrücken: Ich traue ihr nur so weit, wie ich sie werfen könnte. Was nicht sonderlich weit wäre, weil ich laut Keith keine Kraft im Oberkörper habe.
»Ich besorge ihr in meiner Mittagspause ein Geschenk«, sage ich Kate. »Wie viel möchten Sie denn anlegen?«
»Keine Ahnung … Ich hab echt keine Ahnung.«
»Wie wäre es denn mit einem Parfüm? Damit kann man eigentlich nie was falsch
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