Der normale Wahnsinn - Roman
Vor ein paar Minuten kam sie in mein Zimmer, um zu sehen, wie es mir geht, und hat Paul dann für ein Gespräch unter vier Augen nach draußen gebeten.
»Bitte, Mr Heath, bitte«, versucht die Frau von der Verwaltung Paul zu beruhigen. »Sie müssen verstehen, dass wir als Privatklinik nur den bestmöglichen Service-Standard anbieten können, wenn wir dafür auch angemessene Preise erheben.«
»Ja, Sie sagen es«, explodiert Paul. »Das Ganze ist doch nur nötig geworden, weil meiner Frau eben nicht der bestmögliche Service-Standard zuteil geworden ist. Weil sie vielmehr gerade im Moment auf ihre Notoperation wartet, für die Sie mich unverschämterweise noch mal bezahlen lassen.«
»Mr Heath, ich muss Sie bitten, nicht ausfallend zu werden«, erwidert die junge Dame freundlich, aber bestimmt. »Eine IVF birgt nun mal Risiken, wie jeder andere medizinische Eingriff auch. Und all dies wird auch im Informationsmaterial beschrieben, das wir Ihnen ausgehändigt haben und das Mr Bose noch vor Beginn der Behandlung mit Ihnen durchgegangen ist.« Jetztklingt sie eher nach einer Anwältin als nach einer Büroangestellten. Ich vermute, sie wurde für solche Fälle extra ausgebildet.
Doch Paul scheint nicht überzeugt. »Wie auch immer Sie es drehen und wenden mögen, Ihr Haus hat die Sache hier verbockt, und ich soll die Suppe jetzt auslöffeln. Ganz ehrlich? Ich empfinde das als eine bodenlose Frechheit.«
Mir geht es nicht anders. Trotz der Tatsache, dass ich mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt bin, fühle ich Ärger in mir aufsteigen. Ich bin wütend auf diesen Bose, auf seine Verwaltungs-Tussi und auf die ganze scheiß Portman-Klinik. Und wenn ich darüber nachdenke, dann bin ich auch wütend auf Paul. Noch vor wenigen Stunden, in Anwesenheit des Halbgotts in Weiß und seines Ultraschallgerätes, da war er die Demut in Person. »Du bist hier wirklich in den besten Händen«, hat er noch zu mir gesagt. Und jetzt dieser Stimmungswandel, für den einzig und allein eine überhöhte Rechnung verantwortlich zu sein scheint.
»Von mir kriegen Sie keinen Penny«, erklärt Paul kategorisch.
Bingo! Hier geht’s gar nicht mehr um mich. Hier geht’s einzig und allein ums scheiß Geld.
»Mr Heath, Ihre Frau wird gleich operiert. Das alles hier ist der Sache nicht gerade dienlich.«
»Wissen Sie was?«, blafft Paul. »Meine Frau wird den Eingriff woanders vornehmen lassen. Welches ist das nächstgelegene öffentliche Krankenhaus?«
»Das Royal Free. Oder das Whittington.«
»Okay, wir gehen ins Whittington. Ich will, dass sich eine städtische Klinik dieser Sache annimmt. In Ihr Haus habe ich nämlich sämtliches Vertrauen verloren.«
»Na ja, ich nehme an … wir könnten einen Transport veranlassen.«
»Ja, und sehen Sie zu, dass Sie das schnellstens auf die Reihe kriegen«, befiehlt Paul. »Der Zustand meiner Frau ist ernst. Sie muss noch heute operiert werden.«
Kurz darauf steht er wieder in meinem Zimmer. »Okay, es hat sich da eine kleine Änderung ergeben …«, verkündet er.
Ali : Ich liege in einem privaten Rettungswagen. Wusste gar nicht, dass es so was gibt. Die Fahrt verlangsamt sich, dann holpert das Gefährt über eine Bremsschwelle. Das Gerüttel verursacht höllisch stechende Schmerzen in meinem Bauch, die mich wieder daran erinnern, dass ich wirklich sehr krank bin. Und verängstigt. Sehr verängstigt. Was auch kein Wunder ist; ich habe schließlich eine OP vor mir. Und das gefällt mir ganz und gar nicht, wie Sie sich ja inzwischen denken können.
Der Krankenwagen kommt zum Stehen, und die beiden hinteren Türen fliegen auf. Ich blinzele ins Licht, als zwei Krankenpfleger die fahrbare Patiententrage aus dem Laderaum ziehen. Ich schaue nach oben. Whittington Hospital steht über dem Eingang des Gebäudes, das riesig, heruntergekommen, ja, fast ein wenig baufällig aussieht und das, nach dem Portman-Desaster, auch irgendwie einen tröstlichen Eindruck auf mich macht.
Vorsichtig schieben die Pfleger meine Trage über den Asphalt, kommen aber auf halbem Weg zum Gebäude plötzlich zum Stehen. Der kleine Ruck jagt einen weiteren stechenden Schmerz durch meinen Körper. Ich stöhne und schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, steht eine Frau über mich gebeugt. Sie ist so um die fünfzig und scheint weder Ärztin noch Krankenschwester zu sein, weil sie einen weiten Tweedmantel und einen verknitterten braunen Hut trägt. Und weil sie ziemlich aufgeregt wirkt. Medizinisches Personal ist
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