Der Novembermörder
das war kein Selbstmord.«
»Und vergiss nicht, dass die Balkontür von innen verschlossen war und der Schlüssel steckte.«
»Ich möchte nur wissen, was eigentlich passiert ist.«
»Das herauszufinden, werden wir bezahlt«, erklärte der Kommissar trocken.
Er wandte sich wieder zur Balkontür und fragte mit lauter Stimme: »Svante, ist eigentlich viel Blut auf dem Balkon?«
Svante Malm steckte sein sommersprossiges Pferdegesicht durch die Tür.
»Nein, bis jetzt haben wir noch gar keins entdeckt. Jedenfalls keins, das sichtbar wäre.«
»Offenbar ist er also nicht mit der Axt auf dem Balkon umgebracht, sondern wirklich übers Geländer geschubst worden. Nur sonderbar, dass er nicht geschrien hat, nicht wahr? Hat jemand der Zeugen gehört, dass er geschrien hat, als er zu Boden stürzte?«, fragte Andersson.
Irene dachte an die kleine Dame mit dem Hund.
»Scheint nicht so. Ich habe mit der Zeugin gesprochen, die am nächsten dran war. Sie war sehr aufgebracht, weil von Knecht fast auf ihrem Hund gelandet ist. Aber sie hat nichts von einem Schrei erwähnt. Aber sie stand natürlich unter Schock. Ich werde sie morgen vernehmen.«
»Okay. Dann sehen wir uns hier mal weiter um.«
Die Bibliothek wurde von den hohen, an der Wand befestigten Bücherregalen dominiert. Sie erstreckten sich vom Boden bis zum Dach und waren mit Glastüren versehen. Die Sitzgruppe stand mitten in dem großen Raum. Eine kleinere Lesegruppe in einer Ecke bestand aus einem Glastisch und zwei Ohrensesseln, im gleichen Design und Lederbezug wie die Sitzgruppe. Um das große Fenster herum bis zur Balkontür gab es keine Bücherregale. An den Wänden hing stattdessen moderne Kunst. Unter einem bunten Ölgemälde, das einen grünen Monsterkopf mit gelben Augen darstellte, stand die so genannte Haupt-Kommode. Man konnte sie kaum als Kommode bezeichnen, eher als einen Sekretär auf hohen, verschnörkelten Beinen. Unter der Klappe saßen drei Schubladen nebeneinander, und darüber wölbte sich ein raffinierter Rollladen. Die Haupt-Kommode war eine Enttäuschung. Die Kommode in der Eingangshalle war viel imposanter. Aber das war es wohl nicht, was ihren Wert ausmachte, wie Irene aus Svante Malms Reaktion zu erkennen meinte. Auf der anderen Seite des Fensters hingen zwei Bilder, die sogar von den ungeübten Augen des Kommissars als Werke von Picasso identifiziert werden konnten. Es waren nämlich deutlich die Signaturen zu erkennen.
»Kubistischer Stil. Das erkenne ich nach dem Steckbrief für die Bilder, die aus dem Moderna museet gestohlen wurden. Nichts sitzt dort, wo es sein sollte. Wie sollte man zwei Augen sehen können, wenn die Nase im Profil gezeichnet ist?« fragte Andersson.
Er beäugte die beiden Bilder kritisch. Sie waren deutlich kleiner als das Monsterbild, aber sicher beträchtlich teurer.
»Wir drehen mal eine Runde. Und wir versprechen, nichts anzufassen und nur die Taschenlampen zu benutzen.«
Letzteres sagte er zu Svante, dessen Kopf wieder in der Balkonöffnung erschienen war.
Sie begaben sich in den Flur des Obergeschosses, von dem die übrigen Zimmer abgingen. Das erste Zimmer erwies sich als Arbeitszimmer, nur wenig kleiner als das kleinere Wohnzimmer. Im Lichtkegel waren Bücherregale mit Büchern und Ordnern zu erkennen, eine kleine Sitzgruppe, ein großer Schreibtisch und ein separater Computertisch.
Alles sah sehr sauber und ordentlich aus. Anderssons Taschenlampe blieb auf einem eingerahmten Plakat über dem Schreibtisch hängen. Es stellte eine Balletttänzerin in wadenlangem Tüllrock dar. Sie hatte eine Pose eingenommen, in der ein Bein schräg nach vorn gestreckt war und Arme und der Oberkörper sich über das Bein streckten. Große Buchstaben erklärten: »Der Nussknacker. Musik von Tschaikowsky mit einer Originalchoreografie von L. Ivanov«. Verwundert fragte Andersson: »Mochte von Knecht Ballett?«
Neugierig trat Irene neben ihn und las im Licht der Lampen:
»›Nehmen Sie teil an der 75-Jahres-Feier des Nussknackers, 1892-1967 im Stora teatern in Göteborg.‹ Ja ha, ganz offensichtlich ballettinteressiert«, stellte sie fest.
»Wir verschaffen uns heute Abend nur einen ersten Überblick. Die Jungs haben dann die ganze Nacht Zeit, Spuren zu sichern. Sollten sie etwas Wertvolles finden, werde ich es morgen früh von ihnen erfahren … hm, das ist eigentlich ein ganz blöder Ausdruck in diesen Kreisen hier!«
Er schnaubte leise und Irene wurde es ganz warm ums Herz. Auch er war also von den Dingen
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