Der Novembermörder
Bobos Beerdigung gehe.«
»Merkwürdig. Das hat er uns nicht gesagt.«
Eigentlich hatte Lillis ja gar nichts gesagt, als sie nach dem Mord an Henrik gefragt hatten, aber das konnte Charlotte nicht wissen. Mit einem hörbaren Zittern in der Stimme fragte sie: »Und was sagt er?«
»Dass Sie ihm die Schlüssel und eine Wegbeschreibung gegeben haben.«
Das war ein Schuss ins Blaue, aber Irene konnte sehen, dass er getroffen hatte.
»Das behauptet er? Er lügt!«
»Warum sollte er? Er sitzt sowieso für den Mord an Ihrem Mann, und alles, was er damit gewinnt, ist doch nur, dass auch Sie dran sind. Sie werden der Anstiftung zum Mord angeklagt und er dafür, dass er Ihren Auftrag ausgeführt hat. Damit springt für ihn eine mildere Strafe heraus.«
Eine juristisch bewanderte Person wäre ihm nicht auf den Leim gegangen. Aber Charlotte war sowohl unkundig als auch voller Angst.
»Dieser Idiot! Er hat mich bedroht! Er wollte sich Henrik schnappen und hat mich gezwungen, ihm zu sagen, wo er ist. Wenn ich ihm nicht die Schlüssel gegeben hätte, hätte er mich umgebracht!«
»Warum haben Sie Henrik nicht über sein Handy gewarnt?«
»Mir ist die Nummer nicht eingefallen. Das Handy hat er erst vor kurzem bekommen.«
»Und warum haben Sie dann nicht den Verwalter angerufen und ihn gebeten, Henrik zu warnen? Oder die Polizei?«
Wieder schwappten Wellen der Angst durch den Raum, stießen wie gejagte, zu Tode erschrockene Tiere an die Wand.
»Das habe ich doch! Aber der Verwalter war nicht da.«
»Wir haben Ihr Telefon am Sonntagabend abgehört. Es ging kein Gespräch nach Marstrand oder zur Polizei. Aber zur Brasseri Lipp, wo Sie einen Tisch reserviert haben. Und dort sind Sie dann später am Abend auch hingefahren. Wir haben das überprüft. Sie waren eine fröhliche, ausgelassene Gruppe, wenn ich den Wirt richtig verstanden habe. Aber er würde gern den Typen sprechen, der die Lampe runtergeschmissen hat, denn die kostet fünftausend Kronen. Also, noch einmal. Warum haben Sie Henrik nicht gewarnt? Oder die Polizei gerufen?«
»Ich habe mich nicht getraut! Lillis sagte, er würde mir das Kind aus dem Bauch schneiden, wenn ich jemanden anrufen würde!«
»Aber Sie waren nicht so beunruhigt, dass sie nicht ausgehen und sich mit Ihren Freunden treffen konnten!«
Darauf hatte sie keine Antwort. Sie blickte auf die Tischplatte, unter der sie ihre zitternden Hände verbarg. Weder sie noch Lillis hatten den Verdacht gehabt, sie könnten überwacht werden. Das war ihr großer Fehler gewesen. Hätte die Polizei ihn nicht observiert, hätten sie nichts von seiner kurzen Stippvisite in Örgryte gewusst. Und sie hätte ein wunderbares Alibi gehabt. In der Kneipe mit Freunden und vielen anderen Menschen drum herum. Schlau, aber nicht intelligent. Schlauheit, gepaart mit Mut, bis an die Grenze zur Dummdreistigkeit. Alle diese Zutaten, die notwendig waren, damit der Mord an Richard von Knecht gelingen konnte. Noch eine Prise Intelligenz dazu, und der Mord wäre noch schwerer aufzuklären gewesen. Vielleicht sogar unmöglich.
Jonny setzte ihr noch fast eine halbe Stunde wegen der Bombe in der Berzeliigatan zu. Als sie beteuerte, davon nicht gewusst zu haben, bedrängte Jonny sie umso mehr. Nach einer Weile war Charlotte kreideweiß im Gesicht, und Irene beschloss, dass es nun an der Zeit war, dass die liebe Polizistin die Bühne betrat. Mit einem sanft ermahnenden Tonfall unterbrach sie das Verhör.
»Aber Jonny, jetzt musst du mal eine Pause machen. Siehst du nicht, dass Charlotte von Knecht vollkommen erschöpft ist? Möchten Sie ein kleines Frühstück haben, Charlotte?«
»O ja, gern. Tee und eine Scheibe Brot bitte. Außerdem muss ich einmal zur Toilette.«
»Okay. Aber nicht mehr als zehn Minuten!«
Jonny war in seinem Element als Ekelpaket. Birgitta würde sagen, er habe ein gewisses natürliches Talent für diese Rolle, aber Irene war der Meinung, er machte sich ausgezeichnet. Wenn er studiert hätte, wäre er bestimmt ein knallharter, gefürchteter Staatsanwalt geworden.
Nach dem Toilettenbesuch und dem Frühstück schien es, als hätte Charlotte sich wieder gefangen. Aber auch Jonny und Irene hatten die Pause gut genutzt. Die Taktik war besprochen worden, und Jonny hatte die Fotos von dem zusammengeschlagenen Henrik bekommen.
Charlotte sagte kurz: »Jetzt möchte ich einen Anwalt haben. Vorher sage ich nichts mehr.«
»Gute Idee. Aber solange müssen Sie hier warten. In der Zwischenzeit können Sie ja mal einen
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