Der Novembermörder
Snobben gefallen!«
Ein dünner weißer Finger zeigte anklagend auf die Reste von Richard von Knecht. Irene trat sofort den Rückzug an. Es war das Beste, die alte Dame nach Hause zu bringen und erst später zu versuchen, sie zu vernehmen.
Hinten bei der Leiche war Yvonne Stridner dabei, ihre Sachen einzupacken. Mit geübten Bewegungen riss die Professorin sich die Gummihandschuhe ab, zog ihren Kittel aus und stopfte alles in eine Tasche. Die Plastiküberzüge hatte sie bereits von den Füßen gezogen. Ohne auch nur einen Blick auf ihn zu werfen, machte die Stridner eine majestätische Geste in Richtung des jungen Polizeiassistenten, der geduldig mehr als eine Viertelstunde lang ihren Mantel gehalten hatte. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass Leute um sie herumstanden. Laut sagte sie: »Gibt’s hier jemanden von der Kripo?«
Kommissar Andersson sank in sich zusammen, seufzte und trottete zu ihr hinüber.
»Ach ja, der Andersson. Kommen Sie näher. Aber treten Sie nicht ins Blut«, sagte die Pathologin.
Irene Huss schlich hinter dem Kommissar her. Stridner hatte aus dem Seitenfach ihrer Tasche einen Stab gezogen. Sie zupfte kurz an dem einen Ende und zog einen ein Meter langen Zeigestock hervor. Das passte perfekt zu Yvonne Stridner, mit einem Zeigestock in der Tasche herumzulaufen. Auffordernd sagte sie: »Sehen sie mal auf die Oberseite seiner rechten Hand. Ich habe die Hand umgedreht, damit das Licht drauf fällt. Schauen Sie!«
Sie zeigte mit ihrem dünnen Stock. Die beiden Kriminalbeamten sahen es. Quer über den ganzen Handrücken lief eine scharfe Furche. Nicht so schmal wie nach einem Messerschnitt, aber eindeutig durch etwas Scharfes verursacht.
Andersson traute sich zu fragen: »Kann er sich das nicht beim Fallen zugezogen haben?«
»Nein. Zu gerade. Die Wunde muss ihm mit einem Instrument oder einer Waffe beigefügt worden sein. Da ich von Knecht kenne … oder kannte, berührt mich der Todesfall auch persönlich. Eigentlich habe ich morgen den ganzen Vormittag Unterricht, aber ich werde zusehen, dass ich die Obduktion selbst machen kann. Ich werde spätestens um acht anfangen und so nach elf Uhr von mir hören lassen.«
»Wäre es nicht möglich, ihn schon heute Abend kurz anzusehen?«
Der Kommissar sah sie ohne große Hoffnung an. Sie schob ihre rote Haarpracht kurz mit den Fingerspitzen nach oben. Ihre Frisur hatte mittlerweile erheblich gelitten.
»Nicht nötig, Andersson. Wir haben es hier mit größter Wahrscheinlichkeit mit Mord zu tun«, entgegnete sie nur kurz.
Irene Huss ertappte sich, wie sie die Pathologin ungläubig anstarrte. Wut stieg in ihr auf; wie bei den meisten Menschen stimulierte ein herablassender Tonfall ihren Adrenalinspiegel. Mit scharfer Stimme mischte sie sich ein.
»Einen Augenblick! Womit begründen Sie das? Und woher kennen Sie von Knecht?«
Stridner sah sie überrascht an, als würde sie erst jetzt bemerken, dass noch eine Person anwesend war. Sven Andersson murmelte erklärend Namen und Titel von Inspektorin Irene Huss. Bevor Stridner antworten konnte, kamen Sanitäter und fragten, ob sie die Leiche in die Pathologie bringen könnten. Die Gerichtsmedizinerin nickte. Sie zeigte zum Hauseingang.
»Stellen wir uns dort unter, dann stehen wir nicht im Weg. Und nicht im Regen.«
Der ganze Trupp ging zum Eingang, einer soliden Tür mit schön geschliffenem Fensterglas in der oberen Hälfte. Es gab keine Namensschilder der Hausbewohner, nur ein Codeschloss mit Gegensprechanlage. Man musste den Code wissen, um überhaupt Kontakt mit den Hausbewohnern aufnehmen zu können.
Yvonne Stridner kam sofort zur Sache: »Wir waren keine engen Freunde, von Knecht und ich. Er ist manchmal mit meinem Mann segeln gewesen. Oder besser gesagt, mit meinem Exmann. Mein jetziger Mann kennt die Familie von Knecht gar nicht.«
Die Stridner war also verheiratet, und das auch noch mindestens zweimal. Irene Huss’ Wut wich der Überraschung. Die Verwirrung der Inspektorin gar nicht bemerkend, fuhr die Professorin fort: »Es ist genau fünfzehn Jahre her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Aber ich bin überzeugt davon, dass Richard nie, niemals von einem Balkon aus fünfundzwanzig Metern Höhe springen würde! Auch wenn er Selbstmord machen wollte. Er hatte nämlich Höhenangst. Wenn ein Schot oder eine Wante sich am Mast verhakte, versuchte er es möglichst zu umgehen hinaufzuklettern.«
»Woher kannte Ihr Exmann Richard von Knecht?«
Wieder war es Irene Huss, die fragte.
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