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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Alles ziemlich verstaubt und längst in Auflösung begriffen.
    Ich war mal wieder an einem Endpunkt angekommen, an dem die Hoffnung sich auf einen Wimpernschlag reduzierte, der nur für den Moment reichte. Dann für den nächsten. Und den nächsten. Eine Zukunft schien es da oben auf dem Speicher nicht zu geben, dafür jede Menge Gedanken an die Vergangenheit, die mich traurig stimmten. Es waren verklärte Erinnerungen, die alles schöner erscheinen ließen, als es gewesenwar, denn im Rückblick sieht alles besser und schöner aus. Das ist normal. Erst recht in einer solch aussichtlosen Situation wie der, in der ich mich jetzt befand. Da waren die Erinnerungen eine Hilfe gegen die Verzweiflung.
    Trotzdem überkam mich Mutlosigkeit, schmiegte sich an mich wie eine verliebte Krake und drückte mir dabei langsam die Luft ab. Die Gegenwart war trostlos, und es gab keine Aussicht auf Veränderung. Nur ab und zu wurde meine trübe Stimmung durch ein laut plärrendes Kofferradio ein wenig aufgelockert, dessen Klänge vom Haus gegenüber durch das aufgeklappte Fenster drangen, unter dem die Kiste stand. Da das Radio gut zu hören war, mussten die beiden Dachfenster ganz nahe beieinander liegen. Außerdem schien der Speicher des Nachbarhauses bewohnt zu sein.
    Eine Meldung schreckte mich auf. Ein Rockmusiker, Jimi Hendrix, der auch in Woodstock aufgetreten war, dem größten Musikfestival aller Zeiten, das auch Betty und Hannah zum Verhängnis geworden war, war an übermäßigem Drogenkonsum gestorben. Dann wurde von einer Geste des deutschen Bundeskanzlers berichtet. Er hatte sich in Warschau bei einem Staatsbesuch vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos theatralisch auf die Knie fallen lassen, worüber anschließend die ganze Welt sprach. Die Vorstellung vom knienden Kanzler ließ mich einen Augenblick schmunzeln, bevor ich wieder in Trübsal verfiel.
    * * *
    Als ich schon ziemlich lange Zeit auf dem Speicher verbracht hatte, fiel mir auf, dass immer wieder mal Schritte zu hören waren, ganz dicht neben der Kiste. Jedes Mal waren es mehrereSchritte, von mehreren Füßen. Ich hoffte natürlich mit aller Zuversicht, die mir geblieben war, dass jemand in die Kiste hineingreifen und mich zu fassen kriegen würde. Doch die Schritte entfernten sich jedes Mal. Die Hoffnung war wieder dahin, die Enttäuschung noch größer.
    Das Radio nebenan konnte leider auch keine optimistischen Nachrichten verbreiten. Im Gegenteil. Nicht nur der Speicher, die ganze Stadt war mit Tristesse überzogen. Der Grund war ein schrecklicher Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972. Die gescheiterte Befreiung der Geiseln durch die Polizei wurde zu einer Katastrophe. Bei dem Massaker wurden elf Sportler aus Israel ermordet. Außerdem kamen ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen ums Leben. Danach wurden die kurzzeitig ausgesetzten Olympischen Spiele fortgesetzt, was mir ziemlich unerklärlich erschien. Aber wie sagte einer der Verantwortlichen? »The games must go on!«
    Nun ja, das verstehe, wer will. Ich verstand es nicht. Manchmal ist es besser, innezuhalten, sich zu besinnen und zu trauern, als so weiterzumachen wie immer.
    Doch mein Innehalten, meine erzwungene Besinnung ging mir langsam auf die Nerven. Ich verkümmerte hier in dieser muffigen Kiste und sehnte mich nach Befreiung. Nach einer erfolgreichen Befreiung!
    * * *
    Wieder hörte ich Schritte auf dem Dachboden, zuerst leise tapsend, dann lauter, ungestümer. Erneut keimte Hoffnung in mir auf. Ebenso der Glaube, jetzt, in diesem Moment, könnte endlich das kommen, worauf ich schon eine Ewigkeit gewartet hatte.
    Dann spürte ich plötzlich eine Hand an meinem Körper. Eine warme Hand, die fest zupackte und mich hochzog, heraus aus der Dunkelheit ins Licht.
    Geschafft!
    Vier Augen sahen mich an. Vier! Die Augenpaare waren völlig gleich. Vor mir standen zwei Jungs, die nicht nur dieselben Augen hatten, sie sahen auch sonst völlig gleich aus. Zwillinge! Ohne lange zu überlegen, steckte einer der beiden mich ein.
    Das nenne ich mal entschlossen! Alle Achtung!
    »Danke«, kam es mir fast lautlos über die Lippen.
    Was zur Folge hatte, dass die Zwillinge plötzlich verharrten. Der eine zog mich wieder aus seiner Tasche und starrte mich mit seinen großen Augen an, die mich an die eines Frosches erinnerten. Der Junge schien mich tatsächlich verstehen zu können. So, als spräche er meine Sprache. Und ich seine.
    Er sagte etwas zu seinem

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