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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Kassette zu den anderen Sachen in die Kiste. »Das ist Aufruf zum Widerstand.«
    »Ich will meinen Anwalt sprechen!«, stieß Betty trotzig hervor.
    Der Mann lachte. »Sie haben gar nichts zu wollen.«
    Ein kleines Mädchen kam ins Wohnzimmer gerannt und schrie: »Lass Betty in Ruhe!« Sie streckte dem Polizisten die Zunge heraus.
    »Das ist Beamtenbeleidigung«, sagte Betty. »Sie sollten das Mädchen festnehmen.«
    Der Beamte schien verunsichert zu sein. »Bringt die beiden hier weg!«, befahl er.
    »Nicht nötig«, entgegnete Betty. »Wir gehen auch so. Komm mit, Hannah.«
    Sie griff nach der Hand des Mädchens. Das wiederum griff nach mir. Alle drei verließen wir unter den kopfschüttelnden Blicken der Beamten die Wohnung.

1969 – 1976, München, BRD
    Wir waren seit zwei Stunden mit dem Auto unterwegs. Betty fuhr, Hannah saß auf dem Beifahrersitz, und ich lag auf der Rückbank. Aus den Lautsprechern drang wieder die Musik, die »zum Widerstand aufrief«, wie der Polizist gemeint hatte. Manchmal sangen Betty und Hannah mit und klopften dabei im Takt der Musik auf das Armaturenbrett.
    »Züge rollen, Dollars rollen/ Maschinen laufen, Menschen schuften/ Fabriken bauen, Maschinen bauen/ Motoren bauen, Kanonen bauen./ Für wen?« Dann riefen sie noch lauter den Refrain: »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« Danach lachten sie diebisch.
    Betty beugte sich zu Hannah hinüber und küsste sie auf die Stirn. »Bald sind wir bei deiner Tante.«
    Das Mädchen warf einen genervten Blick zurück. »Wird auch langsam Zeit.«
    »Verdammt, beinahe hätte ich’s vergessen! Such mal nach’nem Sender, der Woodstock überträgt!« Betty sagte es ganz aufgeregt. »Na los, mach schon!«
    Hannah drehte am Rädchen des Radiogeräts. Aber außer Gerede und Schlagern war nichts zu hören.
    »In Woodstock spielen sie alle.«
    »Wer ist alle?«
    »Joan Baez, Jimi Hendrix, Grateful Dead, Janis Joplin, The Who, Jefferson Airplane, Blood, Sweat and Tears …«
    Ich verstand nur Bahnhof. Hannah ebenfalls. Während Betty noch immer irgendwelche seltsam klingenden Namen aufzählte, griff sie selbst zum Radio und versuchte den Sender zu finden, was aber gar nicht so einfach war. Sie fluchte.
    »Mama, pass auf!«, schrie Hannah plötzlich.
    Betty erschrak, blickte zur Windschutzscheibe hinaus und riss vor Schreck die Augen auf. Der Wagen war von der Fahrbahn geraten und fuhr auf dem Mittelstreifen. Betty stieg in die Bremsen und riss gleichzeitig das Lenkrad herum.
    »Mama!«
    Der Wagen schlitterte, krachte gegen die Leitplanke, prallte wie eine Billardkugel zurück auf die Fahrbahn und stieß mit einem entgegenkommenden, wild hupenden Pkw zusammen.
    Der Aufprall war so heftig, dass der Wagen von der Fahrbahn geschleudert wurde und sich überschlug. Alles wirbelte durch die Luft. Auch ich flog hoch und drehte mich mehrmals um mich selbst, sodass mir übel wurde. Glas splitterte. Die Scheiben zersprangen in Millionen Scherben. Ich flog durch die Öffnung, segelte durch die Luft und landete auf einer Wiese. Nicht weit von mir lag das Auto. Das Radio lief noch. Ohne Rauschen und Störgeräusche hörte ich die Stimme einesSängers, begleitet von den dröhnenden Rhythmen einer Rockgruppe: »People try to put us d-down/ (Talkin’ ’ bout my generation)/ Just because we get around/ (Talkin’ ’ bout my generation)/ Things they do look awful c-c-cold/ (Talkin’ ’ bout my generation)« I hope I die before I get old/ (Talkin’ ’ bout my generation) …/ This is my generation/ This is my generation, baby …«
    Es schien, als hätte Betty vor dem Unfall doch noch den richtigen Sender gefunden. Dann wurde mir schwarz vor den Augen, und ich verlor das Bewusstsein. Wie lange, kann ich nicht sagen.
    * * *
    Als ich die Augen wieder aufschlug, hatte meine umgebung sich kolossal verändert. Ich hörte eine nervige Stimme sagen: »Tu den weg, der macht mir Angst!«
    Die Stimme gehörte einem Jungen, der in einem Bett lag und einen weißen Verband um den Kopf trug. Ich stand auf einem Nachttischchen neben dem Bett. Alles um mich herum war weiß: Wände, Bett, Leintuch, Plumeau, Nachttischchen. Sogar die Vorhänge vor den Fenstern. Hinter den Vorhängen pappte ein Stück blauer Himmel, wie an einer Wäscheleine aufgehängt. Die Sonne schien, und der Ast eines Baumes ragte durch das Bild wie ein Fingerzeig. Draußen vor dem Fenster war alles märchenhaft grün.
    Das ist ein Krankenzimmer , dachte ich. Und der Junge meinte offenbar mich.
    »Aber das

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