Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
Zwillingsbruder, der mich ebenfalls mit seinen Froschaugen begaffte. Was er sagte, war aber keine Sprache. Er formulierte keine Worte, die aus Buchstaben bestanden und nach menschlichen Tönen klangen, er sprach lautlos, in Bildern und Zeichen, die für mich aber sichtbar wurden.
»Der kann ja reden!«, sagte der eine Zwilling zu dem anderen. »Der spricht unsere Sprache!«
Der andere Junge lächelte und sah dabei aus wie ein grinsender Frosch.
* * *
Die beiden Jungs waren, wie sich bald herausstellte, keine gewöhnlichen Kinder, obwohl man es ihnen nicht ansehen konnte. Sie war Autisten und hatten Schwierigkeiten, sich anderenzu öffnen und sich mit ihnen zu verständigen. Stattdessen lebten sie zurückgezogen in ihrer eigenen Welt, zu der kaum jemand Zutritt hatte. Nicht einmal ihre Eltern, mit denen sie in einer riesigen Villa, umgeben von einem fußballplatzgroßen Garten, im Münchner Prominentenviertel Grünwald wohnten. Ihr Bruder, der mindestens fünf Jahre älter war als die Zwillinge, schien sich auch nicht allzu sehr um sie zu kümmern.
Doch in der Villa hielten sich nicht nur die Eltern, der Bruder und die Zwillinge auf. Tagsüber waren noch viele andere Menschen zugegen. Personal ging ein und aus: Gärtner, Koch, Haushaltshilfen, Kindermädchen, Chauffeur und so weiter.
Die Eltern der Zwillinge waren reiche Leute. Der Vater war Chef einer großen Autoreifenfabrik mit vielen Angestellten in einem Industriegebiet im Norden der Stadt. Die Mutter spielte meistens Tennis oder Bridge, und mindestens einmal am Tag schwamm sie im fünfundzwanzig Meter langen Swimmingpool, der das ganze Jahr über mit Wasser gefüllt und beheizt war. Der Pool befand sich im Garten, dessen Gras so unnatürlich grün aussah, dass einem beim Betrachten die Augen schmerzten, und der immer auf eine Höhe von exakt fünfzehn Millimetern gestutzt war.
Ein Paradies auf Erden, sollte man meinen. Dennoch hielten die beiden Jungs sich tagsüber lieber bei ihrer Großmutter im Stadtteil Haidhausen auf als zu Hause. Dort befand sich auch der Speicher, auf dem sie mich aufgestöbert hatten. Normalerweise wurden die Zwillinge von einem Chauffeur in einem großen Wagen zur Großmutter gefahren und nach ein paar Stunden wieder abgeholt. Dazwischen waren sie entweder alleine im Stadtviertel und auf den Dachböden und in Kellern der umliegenden Häuser unterwegs, oder sie saßen beider Großmutter auf dem Sofa und schauten sich die neueste Folge von Raumschiff Enterprise an, die seit Kurzem in Farbe im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde.
* * *
Die beiden hockten auf dem alten Sofa nebeneinander. Sie starrten mit leicht geöffneten Mündern und ihren riesigen Augen, die jetzt noch weiter hervortraten als sonst, auf den Bildschirm des Grundig-Fernsehers, auf dem Mr Spock und Kirk in ein Rededuell verwickelt waren. Ich saß dazwischen und wunderte mich. Nicht nur über die Zwillinge, auch über Kirk und Spock.
Kirk: »Doktor Mccoy hat mir die Einschätzung Ihres Gesundheitszustands mitgeteilt. Er sagt, Sie sterben, wenn nicht bald etwas geschieht. Nur was? Spock, Sie sind der beste Offizier meiner Flotte und von unschätzbarem Wert für mich. Wenn ich diesen Offizier verliere, will ich den Grund wissen!«
Spock: »Das darf kein Außenstehender erfahren. Nur die wenigen, die eingeweiht wurden. Selbst unter uns Vulkaniern sprechen wir nicht darüber. Es ist eine sehr persönliche Sache. Verstehen Sie das nicht, Käpt’n? Merken Sie das nicht?«
Kirk: »Nein, ich verstehe gar nichts. Erklären Sie es mir. Das ist ein Befehl.«
Die kleinen Münder der Zwillinge schienen sich noch weiter zu öffnen, wobei die riesigen Augen kein einziges Mal zuckten, als wollten sie ja nichts verpassen.
Spock: »Käpt’n, es gibt für mich Dinge, die über der Disziplin der Sternenflotte stehen.«
Kirk: »Würde es Ihnen helfen, wenn ich verspreche, die Sache absolut vertraulich zu behandeln?«
Spock: »Es hat etwas mit Biologie zu tun!«
Kirk: »Womit?«
Spock: »Biologie!«
Kirk: »Welche Biologie?«
Spock: »Vulkanische Biologie.«
Die Münder der Zwillinge verzogen sich zu einem Grinsen. Ihre Augen funkelten, als sähen sie Spock und Kirk nicht nur, sondern könnten auch die Signale der Enterprise störungsfrei empfangen.
Kirk: »Sie meinen die Biologie der Vulkanier? Biologie im Sinne von Fortpflanzung? Hören Sie, das braucht Ihnen doch nicht peinlich zu sein, das gibt es doch auch bei Vögeln und Bienen …«
Spock: »Vögel und
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