Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
Bienen sind aber keine Vulkanier, Käpt’n!«
Jetzt lachten die Zwillinge, gleichzeitig und nur für sich, wie es schien. Oder der eine für den anderen. Es war ein wissendes und weises Lächeln, das mir sagte, dass die beiden sich ähnlich fühlten wie Spock auf der Enterprise. Ähnlich unverstanden und gefangen in sich selbst. Es war das erste Mal, dass ich sie lachen sah.
Die Großmutter kam in ihrer Kittelschürze aus der Küche ins Wohnzimmer. »Kinder, wollt ihr Pfannkuchen?«
Die beiden, ganz in Spocks Welt gefangen, reagierten gar nicht.
»Na, dann eben nicht.«
Die Großmutter zog wieder ab, während Spock und Kirk sich noch ein wenig über Logik unterhielten – ein Gespräch, dem die Zwillinge aufmerksam lauschten.
* * *
Auch die Großmutter, so schien es, kam trotz großer Bemühung und ungeteilter Aufmerksamkeit nicht wirklich an die Zwillinge heran. Ich schon.
Dabei waren die Jungs auch für mich ein wenig seltsam. Nicht nur, dass sie nicht mit anderen Menschen sprachen – sie schienen sich nur für sich selbst zu interessieren. Darüber hinaus höchstens für zwei, drei andere Dinge. Neben dem Raumschiff Enterprise zum Beispiel für Kakteen. In ihrem Zimmer in der Villa standen Hunderte verschiedener Kakteen. Sie wurden von den beiden so liebevoll gepflegt und gehegt wie nichts sonst auf der Welt. Sie sprachen sogar mit ihnen – natürlich, ohne dass jemand es verstehen konnte, denn sie hatten eine Geheimsprache entwickelt, die ohne Worte auskam, ohne Laute sogar, und die nur durch leichte Bewegungen des Mundes erfolgte. Wenn man ganz genau hinsah, mahlten ihre unterkiefer fast unmerklich. Ihr Mund war einen winzigen Spalt weit geöffnet, und die Lippen bewegten sich kaum wahrnehmbar.
Ich hatte das Gefühl, dass die Zwillinge ihr eigenes, von allen anderen abgeschirmtes Leben führten. Und doch wurden sie ständig mit der Lebenswirklichkeit der anderen konfrontiert. Dabei bekam die heile Welt im Paradies in Grünwald immer wieder Risse. Meistens war der Bruder der Zwillinge dafür verantwortlich. Er schien andere Vorstellungen von seinem Leben zu haben als seine Eltern, vor allem als sein Vater. Schon seine Kleidung unterschied sich ganz und gar von der seiner Eltern. Der Vater lief nur in teuren Anzügen herum, mit Seidenkrawatte und handgenähten italienischen Schuhen. Die Mutter trug fast immer elegante Kostüme von den berühmtestenModedesignern der Welt. Der Sohn hingegen sah aus, als gehöre er nicht zur Familie. Er trug zerfetzte Jeans, schlabberige Baumwollhemden und Turnschuhe mit Löchern. Seine Haare waren schulterlang und meist fettig, und im Gesicht spross ein blonder Bartflaum.
Auch in den Ansichten unterschied der Sohn sich völlig von seinem Vater. Nach dem Abitur wollte er nicht, wie der Vater es von ihm erwartete, Jura oder Betriebswirtschaft studieren, um später den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Nein, der Junge fühlte sich zu Höherem berufen und wollte Malerei studieren. Noch lieber Politikwissenschaft. Mit diesem Wunsch hielt er auch nicht hinter dem Berg.
Wegen der unterschiedlichen Auffassungen, was die Zukunft anging, gerieten Vater und Sohn sich ständig in die Haare. Die Mutter schlug sich natürlich immer auf die Seite ihres Mannes, während die Zwillinge sich neutral verhielten, als wäre die Streiterei völlig unverständlich für sie.
Als der Junge das Abitur bestanden hatte, wurde der häusliche Streit noch erbitterter. Es war am 10. Dezember 1972 – an dem Tag, als Heinrich Böll den Nobelpreis für Literatur erhielt. Der Auslöser war ein Mädchen, ungefähr so alt wie der Bruder der Zwillinge, das an diesem Tag zu Besuch war. Das Mädchen sah noch extremer und provozierender aus als der Bruder. Ihre Augen waren schwarz umrandet, die Lippen blutrot geschminkt, und die Haare standen in sämtlichen Richtungen vom Kopf ab. Ihre Klamotten wurden von bunten Stofffetzen und Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Auf ihrer Lederjacke prangte ein roter Stern, in dem eine Maschinenpistole aufgemalt war. Das war wohl auch der Grund, weshalb der Vater so allergisch reagierte.
»Was soll das?«, fragte er und zeigte auf den Stern. »Bist du eine Sympathisantin?«
Sympathisantin wovon? , fragte ich mich.
Die junge Frau schien es zu wissen, ließ sich aber nicht einschüchtern. Im Gegenteil. Wie es schien, hatte sie nur auf diese Reaktion gewartet.
»Sind Sie ein Kapitalistenschwein?«, schleuderte sie dem gut gekleideten Vater trotzig entgegen.
Der
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