Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
konnte man von draußen nicht mehr in den Schalterraum blicken.
Die Plastiktüten waren prall gefüllt mit Geldscheinen. Auch die zwei Bankangestellten lagen nun mit dem Gesicht nach unten auf der Erde. Die Uhr über dem Eingang ratterte unerbittlich die Minuten herunter, ohne dass ein Fluchtfahrzeug vor dem Eingang erschien. Die Bankräuber wurden immer nervöser und rauchten zitternd eine Zigarette nach der anderen. Vor allem bei einem der beiden schienen die Nerven blank zu liegen.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte er und schlug dabei mit seiner Waffe gegen einen aufgestellten Pappständer, dass der wie ein Kartenhaus zusammenknickte.
»Reiß dich zusammen!«, sagte sein Komplize beschwichtigend.
»Reiß dich zusammen, reiß dich zusammen«, äffte das Nervenbündel den anderen nach. »Wessen beschissene Idee war das denn, hä?«
»Hör auf!«
Die Zwillinge erhoben sich plötzlich vom Boden und gingen zwei kleine Schritte auf die Bankräuber zu.
»He, stehen bleiben!« Einer der Räuber hatte sie bemerkt.
Genau unter der Lampe blieben die Zwillinge stehen.
»Was soll das, ihr Rotzlöffel? Wer hat euch erlaubt, aufzustehen?«
Die Zwillinge reagierten nicht, starrten die beiden nur mit ihren riesigen Augen an.
»Habt ihr was an den Ohren, ihr zwei? Hinlegen!«
Einer der Räuber richtete die Waffe auf die beiden.
Doch die Zwillinge reagierten immer noch nicht, starrten die Räuber nur unverwandt an, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war ein magnetischer Blick, sodass die beiden Täter sich den Zwillingen näherten.
Genau das schienen sie beabsichtigt zu haben. Sie standen noch immer unter der Lampe. Die dünne Schnur hielt der Belastung nicht mehr stand und riss. Der große Leuchter fiel von der Decke. Die Zwillinge machten einen Schritt zur Seite, sodass der Leuchter die Bankräuber wie ein Tiger aus dem Hinterhalt erwischte und zu Boden riss. Die Pistolen fielen ihnen aus den Händen.
Dann ging alles ganz schnell. Während die Zwillinge nach den Waffen griffen, stürzten sich einige der Geiseln auf die Räuber und schlugen wild auf sie ein. Andere stürzten aus der Bank und riefen um Hilfe. Sekunden später stürmten bewaffnete Polizeibeamte in die Filiale, überwältigten die Geiselnehmer und führten sie ab.
Die Zwillinge waren die Helden der Stunde. Dennoch waren ihre Großmutter und ihre Eltern besorgt, wie die beiden den Zwischenfall wegstecken würden.
Seit dem Banküberfall hielten sich zahlreiche Ärzte und Psychologen in der Villa in Grünwald auf. Alle wollten herausfinden, ob der Vorfall bei den Zwillingen Spuren hinterlassen hatte. Aber auch ihnen verwehrten sie den Zugang in ihre Welt. Sie schüttelten nur immer wieder den Kopf. Frustriert zogen Ärzte und Psychologen wieder ab. Die einen waren mitihrem Latein am Ende, die anderen unterstellten den Zwillingen, sie würden simulieren.
»Das ist doch Quatsch!«, sagte die Mutter, während der Vater sich da nicht ganz so sicher war.
Den Zwillingen war es egal. Wie immer reagierten sie nicht.
* * *
Anfang Juli hatten die Zwillinge Geburtstag. Eine riesige Torte war im Wohnzimmer auf dem niedrigen Glastisch aufgebaut. Um den Glastisch herum waren außer den Zwillingen auch die Großmutter und die Eltern versammelt. Freunde waren nicht gekommen. Die beiden hatten keine.
Nachdem die fünfzehn Kerzen ausgeblasen waren – natürlich nicht von den Zwillingen, die kein Interesse an den Kerzen zu haben schienen, sondern von der Mutter –, gab es die Geschenke. Aber auch sie wurden von den Jungs nicht beachtet. Nur die zwei Freikarten für ein Fußballspiel im Olympiastadion schienen sie zu interessieren.
»Ich wusste es«, flüsterte der Vater der Mutter zu. »Am Sonntag gehen wir drei ins Stadion, ja?«, sagte er dann zu den Zwillingen. Er sprach mit ihnen, als wären sie keine Autisten, sondern Idioten. »Wir schauen uns das WM-Finale Deutschland gegen Holland an. Das wird spannend, Jungs!«
Keine Reaktion.
»Ist gut, Robert.« Die Mutter schnitt ein paar Tortenstücke aus dem Kuchen und legte sie auf die flachen Teller.
»Aber sie könnten sich doch wenigstens ein bisschen freuen!«, schimpfte der Vater.
»Robert, nicht vor den Kindern, bitte«, ermahnte die Großmutter ihren Schwiegersohn.
»Mein Gott, ist das denn zu viel verlangt?«
»Lass mal, Robert, bitte.« Wieder mischte sich die Mutter ein. Das schien nun Robert zu viel zu sein, denn er verließ grummelnd das Wohnzimmer.
Der Vater war über die ausbleibende
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