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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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standen sich jetzt fast gegenüber.
    »Merry Christmas!«, rief der Engländer, als sie nur noch ein paar Meter voneinander entfernt waren.
    »Fröhliche Weihnachten!«, erwiderte August. »I wish you the same!«
    Dann standen sie sich gegenüber und reichten sich die Hand. Der Engländer schien nicht viel älter als August zu sein. Er schmunzelte. August schmunzelte ebenfalls. Und ich wusste nicht, ob ich lachen oder vor Rührung weinen sollte.
    »Und ein gutes neues Jahr!«, sagte August.
    »Yes, a good year for you!«
    Sie lachten und klopften sich auf die Schultern. August griff in seine Pickelhaube und gab dem Engländer Tabak und Zigaretten. Der Engländer griff in seine Manteltasche und steckte August ein paar Dosen Corned Beef zu. In den Schützengräben, hüben wie drüben, wurde plötzlich geklatscht und »Bravo!« gerufen. Überall erklang jetzt »Schöne Weihnachten!« und »Merry Christmas!« von der einen zur anderen Seite.
    Die schießen nicht , dachte ich, die klatschen! Verrückt!
    »Tom«, sagte der englische Soldat.
    »August.«
    Sie gaben sich die Hand.
    »Stupid war!«
    »Right! Blöder Krieg.«
    Dann steckten sie sich eine Zigarette an, rauchten gemeinsam und unterhielten sich dabei. August sprach ein paar Brocken Englisch, und der Engländer konnte ein bisschen Deutsch. Plötzlich kamen auch andere Soldaten, Deutsche und Engländer, aus den Schützengräben gekrochen. Sie liefen einander entgegen und gesellten sich zu August und Tom. Auch sie tauschten Zigaretten gegen Dosenfleisch und Lebkuchen gegen Zigarren. Sie brachten Wein mit, stießen an, wünschten sich fröhliche Weihnachten und tranken aus den Flaschen.
    Ein englischer Soldat zog eine Pocketkamera aus der Tasche. Alle stellten sich zu einem Foto auf, Arm in Arm, mit ernstem, aber gelöstem Blick.
    »Das wird nichts!«, sagte Franz. »Zu dunkel.«
    »Für so einen Moment ist es nie zu dunkel«, entgegnete August, und ich wusste genau, was er meinte.
    Der englische Soldat knipste, während alle in die Kamera blickten. Es ging jetzt zu wie auf einem Schulhof während der großen Pause. Das muss man sich mal vorstellen. Verfeindete Soldaten standen im Niemandsland in Gruppen beieinander, rauchten und plauderten zwanglos. Unglaublich, aber wahr! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen und gehört. Es war am 24. Dezember 1914 in Flandern an der Westfront. Und es blieb nicht bei diesem einen Mal, es wiederholte sich.
    Am nächsten Tag erklangen wieder Weihnachtslieder aus Hunderten von Männerkehlen aus den Schützengräben.
    »Oh, Come All You Faithful!«, sangen die einen.
    »Herbei, oh ihr Gläubigen«, sangen die anderen. Gleichzeitig und mit derselben Melodie. Dann kletterten sie wieder über die Brustwehr, stiegen über Stacheldraht und Sandsäcke und trafen sich im Niemandsland. Erneut wurden Geschenke ausgetauscht. Hartwürste und Bully Beef, Tabak und Konserven. Schals gegen Handschuhe, Plumpudding gegen Dresdner Stollen. Anschließend wurden Adressen ausgetauscht, für die Zeit nach dem Krieg.
    »Falls wir ihn überleben«, sagte August.
    Sein Gegenüber nickte, als er auf einen kleinen Zettel seinen Namen und den Wohnort notierte. Anschließend kam jemand auf die Idee, die toten Soldaten zu begraben, die seit Wochen achtlos im Dreck zwischen der Front und den gegnerischen Schützengräben lagen. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen.
    Engländer und Deutsche gruben zusammen mit Spaten und Schaufeln Löcher in den gefrorenen Boden. Sie beerdigten die getöteten Kameraden.
    Als die Toten unter der Erde waren, erbot sich ein englischer Soldat, den Deutschen die Haare und Bärte zu schneiden. Der Mann war vor dem Krieg Friseur gewesen. Er hatte Schere und Kamm an der Front mit dabei. Die deutschen Soldaten knieten sich vor dem Engländer hin und sahen zu, wie ihre verlausten Haare in kleinen Büscheln durch die Luft schwebten und im mittlerweile gefrorenen Schlamm landeten.
    »Keep yer ’ead, or I’ll ’ave yer blinkin’ ear off!«, sagte der flink mit der Schere hantierende Friseur.
    »Was meint er?«, fragte Franz.
    »Du sollst stillhalten, sonst schneidet er dir das Ohr ab!«
    August und der Friseur lachten, aber Franz bewegte sich keinen Millimeter mehr.
    »Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe«, sagte Franz, als er mit den Fingern die neue Frisur befühlte.
    August lachte wieder. »Das sagst du nur, weil du dich selbst nicht sehen kannst.«
    Jetzt lachte auch Franz.
    * * *
    Als der Tag

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