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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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vorbereiten zu können. Der CIA-Veteran hatte das Dossier höchst unterhaltsam gefunden. Er war in der dunkelsten Zeit des Kalten Krieges zur Agency gekommen und hatte jahrzehntelang auf geheimen Schlachtfeldern in aller Welt gegen die Sowjets und ihre Stellvertreter gekämpft. Ein Blick in das Dossier des Botschafters genügte, um Fielding in der Überzeugung zu bestätigen, sein Kampf sei nicht vergeblich gewesen.
    Er stand unter dem Wappen des 89th Airlift Wing, als Tretjakows Wagenkolonne vor dem Abfertigungsgebäude vorfuhr. Obwohl der Botschafter sich nun an einem der sichersten Orte in Washington und Umgebung befand, wurde er auch weiterhin dreifach beschützt: von seinen eigenen russischen Leibwächtern, von Agenten der Diplomatic Security und von mehreren Offizieren des Sicherheitsdiensts in Andrews. Fielding erkannte den Botschafter sofort – das Dossier hatte außer einigen Überwachungsfotos auch Tretjakows offizielles Foto enthalten –, ging aber auf einen Botschaftssekretär zu, um sich nicht anmerken zu lassen, wie gut er vorbereitet war. Der Assistent verwies ihn an Tretjakow, der daraufhin ein überlegenes kleines Lächeln zur Schau trug, als amüsiere ihn die Inkompetenz der Amerikaner. Fielding schüttelte dem Botschafter die Hand und stellte sich als Tom Harris vor. Mister Harris hatte anscheinend keinen Titel und schien nur in Andrews zu sein, um dem Botschafter die Hand zu schütteln.
    »Wie Sie sich denken können, Mr. Ambassador, sind die Geschwister Charkow etwas nervös. Mrs. Charkow möchte, dass Sie ihnen allein gegenübertreten – ohne Assistenten oder Sicherheitsleute.«
    »Weshalb sollten die Kinder nervös sein, Mr. Harris? Sie kehren nach Russland heim, wo sie hingehören.«
    »Soll das heißen, dass Sie sich weigern, Anna und Nikolai ohne Assistenten oder Leibwächter gegenüberzutreten, Mr. Ambassador? Dann wäre der Deal hinfällig.«
    Tretjakow reckte das Kinn etwas vor. »Nein, Mr. Harris, das ist nicht der Fall.«
    »Eine kluge Entscheidung. Ich mag mir nämlich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Iwan Charkow herausbekäme, dass Sie den Deal wegen irgendeiner dämlichen Protokollfrage haben platzen lassen.«
    »Hüten Sie Ihre Zunge, Mr. Harris.«
    Fielding hatte nicht die Absicht, seine Zunge zu hüten. In Wirklichkeit legte er gerade erst los.
    »Sie haben vermutlich Fotos der Geschwister Charkow gesehen?«
    Der Botschafter nickte.
    »Sie trauen sich zu, sie zu identifizieren?«
    »Jederzeit.«
    »Das ist gut, denn Sie dürfen auf keinen Fall dicht an die Kinder heran oder sie gar anfassen. Sie können ihnen zwei Fragen stellen, nicht mehr. Sind Sie mit diesen Bedingungen einverstanden, Mr. Ambassador?«
    »Was bleibt mir anderes übrig?«
    »Absolut nichts.«
    »Das habe ich mir gedacht.«
    »Stellen Sie sich bitte breitbeinig und mit seitlich ausgestreckten Armen hin.«
    »Wozu sollte ich das um Himmels willen tun?«
    »Weil ich eine Leibesvisitation vornehmen muss, bevor ich Sie in die Nähe der Kinder lassen darf.«
    »Das ist empörend!«
    »Ich mag mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Iwan Charkow erfahren würde …«
    Der Botschafter streckte die Arme aus und stellte sich breitbeinig hin. Fielding ließ sich mit der Leibesvisitation Zeit und achtete darauf, sie so invasiv und demütigend wie möglich zu gestalten. Als er damit fertig war, besprühte er seine Hände mit einem flüssigen Desinfektionsmittel.
    »Zwei Fragen, keine Berührungen. Ist das klar, Mr. Ambassador?«
    »Völlig klar, Mr. Harris.«
    »Dann kommen Sie bitte mit.«
     
    Es war ein kleiner Raum, dessen Wände voller Fotos aus der bewegten Geschichte des Stützpunkts hingen: Präsidenten, die zu historischen Reisen aufbrachen, Kriegsgefangene, die nach langer Gefangenschaft heimkehrten, mit Flaggen bedeckte Särge, die in heimischer Erde beigesetzt werden sollten. Wären an diesem Nachmittag Fotografen da gewesen, hätten sie ein trauriges Bild festhalten können: eine Mutter, die ihre Kinder vielleicht zum letzten Mal umarmte. Aber natürlich waren keine Fotografen da, weil Mutter und Kinder gar nicht hier waren – zumindest nicht offiziell. Auch die beiden Flüge, die diese Familie bald auseinanderreißen würden, gab es nicht, und sie würden auch nie in der Startkladde des Kontrollturms erscheinen.
    Zusammengedrängt hockten sie auf einem schwarzen Kunstledersofa. Elena, die Jeans und eine Lammfelljacke trug, saß in der Mitte und hatte beide Arme um die

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