Der Oligarch
Kinder gelegt. Ihre Gesichter waren in dem Pelzkragen ihrer Mutter vergraben und blieben dort, auch als der russische Botschafter den Raum schon lange betreten hatte. Elena weigerte sich, ihn anzusehen. Ihre Lippen waren auf Annas Stirn gedrückt, ihr Blick blieb starr auf den hellgrauen Teppichboden gerichtet.
»Guten Tag, Frau Charkowa«, sagte der Botschafter auf Russisch.
Elena gab keine Antwort. Tretjakow sah zu Fielding hinüber. »Ich muss ihre Gesichter sehen«, sagte er auf Englisch. »Sonst kann ich nicht bestätigen, dass dies wirklich Iwan Charkows Kinder sind.«
»Sie haben zwei Fragen, Mr. Ambassador. Bitten Sie sie, die Köpfe zu heben. Aber achten Sie darauf, höflich zu fragen. Sonst werde ich vielleicht ungehalten.«
Der Botschafter wandte sich erneut an die vor ihm sitzende verzweifelte Familie. Auf Russisch sagte er: »Hebt bitte die Köpfe, Kinder, damit ich eure Gesichter sehen kann.«
Die Kinder verharrten unbeweglich.
»Versuchen Sie’s mal auf Englisch«, sagte Fielding.
Das tat Tretjakow. Diesmal hoben die Kinder die Köpfe und starrten ihn unverhohlen feindselig an. Trotzdem stand für den Botschafter fest, dass die Kinder wirklich Anna und Nikolai Charkow waren.
»Euer Vater freut sich darauf, euch wiederzusehen. Freut ihr euch schon auf zu Hause?«
»Nein«, sagte Anna.
»Nein«, wiederholte Nikolai. »Wir wollen hier bei unserer Mutter bleiben.«
»Vielleicht sollte eure Mutter auch heimkommen.«
Elena sah Tretjakow erstmals an. Dann ging ihr Blick zu Fielding hinüber. »Bringen Sie ihn bitte weg, Mr. Harris. In seiner Gegenwart wird mir ganz übel.«
Fielding begleitete den Botschafter nach nebenan in das Gebäude der Flugleitung. Die beiden standen auf der Aussichtsplattform, als Elena und die Kinder, von mehreren Sicherheitsleuten begleitet, aus dem Abfertigungsgebäude kamen. Die Gruppe bewegte sich langsam übers Vorfeld und stieg die Fluggasttreppe zur Kabinentür der C-32 hinauf. Zehn Minuten später kam Elena Charkowa sichtlich erschüttert und ohne ihre Kinder die Treppe hinunter. An den Arm eines Luftwaffenoffiziers geklammert ging sie zu einer bereitstehenden Gulfstream und verschwand in der Kabine.
»Nun sind Sie bestimmt sehr stolz, Mr. Ambassador«, sagte Fielding.
»Ihr Amerikaner hattet von vornherein kein Recht, sie ihrem Vater wegzunehmen.«
Die Kabinentür der C-32 war jetzt geschlossen. Die Fluggasttreppe wurde weggerollt, danach entfernten sich der Tankwagen und das Fahrzeug, das die Bordverpflegung gebracht hatte. Fünf Minuten später befand sich die Maschine über den zu Maryland gehörenden Washingtoner Vororten im Steigflug. Fielding beobachtete, wie sie in den Wolken verschwand, dann musterte er den Botschafter verächtlich.
»Um neun Uhr auf dem Flugplatz Konakowo. Denken Sie daran: kein Charkow – keine Kinder. Haben Sie das verstanden, Mr. Ambassador?«
»Er wird pünktlich da sein.«
»Sie können jetzt gehen. Sie werden entschuldigen, wenn ich Ihnen nicht die Hand gebe. Mir ist selbst ein bisschen übel.«
Ed Fielding blieb auf der Aussichtsplattform, bis der Botschafter und sein Gefolge den Stützpunkt sicher verlassen hatten. Dann ging er an Bord der wartenden Gulfstream. Elena Charkowa war in ihrem Sessel angeschnallt und starrte auf das leere Vorfeld hinaus.
»Wie lange werden wir warten müssen?«
»Nicht lange, Elena. Stehen Sie das durch?«
»Ich halte durch, Ed. Lassen Sie uns heimfliegen.«
60 H OTEL M ETROPOL , M OSKAU
Gabriel erhielt die Meldung vom Start des Flugzeugs, als er um 22.45 Uhr Moskauer Zeit am Fenster seines Zimmers im Hotel Metropol stand. Seit er von seinem kurzen Ausflug auf die Twerskaja ulitsa zurückgekommen war, hatte er immer wieder dort gestanden. Zehn Stunden, in denen er nichts tun konnte, außer in seinem Zimmer auf und ab zu gehen und sich quälende Sorgen zu machen. Zehn Stunden, in denen er nichts tun konnte, außer das geplante Unternehmen noch tausend Mal von Anfang bis Ende durchzugehen. Zehn Stunden, in denen er nichts tun konnte, außer an Iwan Charkow zu denken. Er fragte sich, wie sein Feind die Nacht verbringen würde. Würde er sie still mit seiner weit jüngeren Frau verbringen? Oder vielleicht war eine Feier angesagt: eine sogenannte Mega-Party. So bezeichneten Charkow und seine Kumpane die Partys nach Abschluss jedes Waffengeschäfts. Je größer die vereinbarte Lieferung, desto größer die Feier.
Seit die C-32 mit den Kindern auf dem Flug nach Russland war, glichen
Weitere Kostenlose Bücher