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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Möglich, dachte Schamron, aber nicht sehr wahrscheinlich. Wie er Charkow kannte, würde er dieses Vorrecht für sich selbst beanspruchen.
    Eine Stunde. Bei schlechtem Wetter vielleicht länger. Eine Stunde …
    Der Dienst verfügte nicht über die Möglichkeiten, in so kurzer Zeit zu intervenieren. Das konnten auch die Amerikaner oder die Briten nicht. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur eine Instanz, die dazu imstande war: der Kreml … Derselbe Kreml, der Charkow überhaupt erst gestattet hatte, seine Waffen an die al-Qaida zu verkaufen. Derselbe Kreml, der Charkow gestattet hatte, den Verlust seiner Frau und seiner Kinder zu rächen. Sergey Korowin hatte praktisch zugegeben, dass Charkow den russischen Präsidenten für die Erlaubnis, Grigorij und Chiara zu entführen, bezahlt hatte. Vielleicht konnte Schamron eine Möglichkeit finden, Charkow zu überbieten. Aber wie viel waren dem russischen Präsidenten – angeblich einem der reichsten Männer Europas – vier Menschenleben wert? Und wie viel würden sie Charkow wert sein? Schamron musste ein Gebot vorlegen, das Charkow nicht überbieten konnte. Und das so schnell wie möglich.
    Er sah auf die Uhr, spielte weiter mit seinem Zippo. Zwei Umdrehungen nach links, zwei nach rechts …
    »Ich brauche eine russische Ölgesellschaft, Gentlemen. Eine sehr große russische Ölgesellschaft. Und ich brauche sie binnen einer Stunde.«
    »Wollen Sie mir verraten, wo Sie eine russische Ölgesellschaft herbekommen wollen?«, fragte Carter.
    Der Alte sah zu Seymour hinüber. »Cheyne Walk, Nummer dreiundvierzig.«
     
    Rudenkos Handy klingelte wieder. Er hörte einige Sekunden mit ausdrucksloser Miene zu, dann fragte er: »Wie viele Tote?«
    »Wir zählen noch.«
    »Ihr zählt noch?«
    »Sieht schlimm aus.«
    »Aber ihr seid euch sicher, dass er es ist?«
    »Keine Frage.«
    »Kein Blut. Habt ihr verstanden? Kein Blut.«
    Rudenko beendete das Gespräch. Er war im Begriff, Charkow zu einem sehr glücklichen Mann zu machen. Er hatte das Einzige auf der Welt, das Charkow noch mehr begehrte als seine Kinder.
    Er hatte Gabriel Allon.
     
    Dieses Mal war es der US-Präsident, auf den jemand zutrat. Und nicht nur irgendein Assistent. Der Stabschef des Weißen Hauses. Ihr flüsternd geführtes Gespräch war nur kurz. Das Gesicht des Präsidenten blieb dabei so ausdruckslos wie zuvor.
    »Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte der britische Premierminister, als der Stabschef wieder gegangen war.
    »Es scheint ein Problem zu geben.«
    »Was für ein Problem?«
    Der Präsident sah über den Konferenztisch zu ihrem Gastgeber hinüber.
    »Schwierigkeiten in den Wäldern um Moskau.«
    »Können wir irgendwas tun?«
    »Beten.«
     
    Graham Seymours Jaguar parkte in der Upper Brook Street. In London war es 6.20 Uhr, als er hinten einstieg. Von zwei Motorradpolizisten eskortiert fuhr er nach Süden zur Hyde Park Corner, auf der Knightsbridge Street nach Westen, dann auf der Sloane Street wieder nach Süden bis zur Royal Hospital Road. Um 6.27 Uhr hielt seine Limousine vor Wiktor Orlows Villa am Cheyne Walk, und um halb sieben betrat Seymour, vom Gongschlag einer vergoldeten Kaminuhr begleitet, Orlows luxuriöses Arbeitszimmer. Orlow, der von sich behauptete, er brauche nur drei Stunden Schlaf, saß tadellos rasiert und gekleidet am Schreibtisch vor seinem Computer, über dessen Bildschirm Börsenkurse aus Asien liefen. Auf dem riesigen Plasmafernseher ließ sich ein vor dem Kreml postierter BBC-Reporter ernst über die vor dem Zusammenbruch stehende Weltwirtschaft aus. Orlow brachte ihn mit einem Knopfdruck auf die Fernbedienung zum Schweigen.
    »Was wissen diese Idioten wirklich, Mr. Seymour?«
    »Tatsächlich sehr wenig, das kann ich mit Bestimmtheit sagen.«
    »Sie sehen aus, als hätten Sie eine lange Nacht hinter sich. Nehmen Sie bitte Platz. Also, Graham, was kann ich für Sie tun?«
     
    Das war eine Frage, die Wiktor Orlow später noch oft bereuen würde. Das nun folgende Gespräch wurde nirgends aufgezeichnet, zumindest nicht vom MI5 oder irgendeinem anderen Zweig der britischen Geheimdienste. Es dauerte acht Minuten, weit länger, als Seymour sich gewünscht hätte, aber das war zu erwarten gewesen. Seymour verlangte von Orlow, für immer auf etwas zu verzichten, das sehr wertvoll war. In Wirklichkeit war dieses Objekt für Orlow jedoch längst verloren. Trotzdem klammerte er sich an diesem Morgen noch daran, wie sich der Überlebende eines Bombenanschlags bisweilen an den Leichnam eines

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