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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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geliebten Menschen klammert, der weniger Glück gehabt hat.
    Dies war kein angenehmes Gespräch, aber auch das war zu erwarten gewesen. Wiktor Orlow war kein angenehmer Mensch, selbst dann nicht, wenn er bester Laune war. Laute Worte waren zu hören, Drohungen wurden ausgesprochen. Auch wenn Orlows Hauspersonal mustergültig diskret war, konnte es nicht anders, als einiges davon mitzubekommen. Es hörte Wörter wie Pflicht und Ehre. Es hörte deutlich die Wörter Auslieferung und unmittelbar danach Haftbefehl. Es hörte zwei Namen – Schukowa und Tschernow – und es glaubte zu hören, wie der englische Besucher von einer Überprüfung der politischen und geschäftlichen Aktivitäten Mister Orlows auf britischem Boden sprach. Und zuletzt hörte es den Besucher sehr deutlich sagen: »Wollen Sie nicht ein einziges Mal in Ihrem Leben anständig handeln? Mein Gott, Wiktor! Hier stehen vier Leben auf dem Spiel! Und eines davon ist Grigorijs! «
    Daraufhin herrschte düsteres Schweigen. Im nächsten Augenblick kam der englische Besucher mit verkniffener Miene und sorgenvoll auf seine Uhr blickend aus dem Arbeitszimmer geeilt. Er nahm jeweils zwei Treppenstufen auf einmal und stieg hastig in seinen wartenden Jaguar. Als die Limousine davonraste, wählte Seymour eine Notrufnummer in der Downing Street. Zwei Minuten später sprach er direkt mit dem Premierminister, der von dem Arbeitsfrühstück aufgestanden war, um den Anruf entgegenzunehmen. Es war 6.42 Uhr in London und 9.42 Uhr in der einsamen Datscha in den Birkenwäldern nordöstlich von Moskau.
     
    Der britische Premierminister kehrte an den Tisch zurück.
    »Ich glaube, es ist Zeit für ein Dreiergespräch mit unserem Freund dort drüben.«
    »Hoffentlich haben Sie ihm etwas Gutes anzubieten.«
    »Das habe ich. Die Frage ist nur: Wird er seinen Teil der Vereinbarung einhalten können?«
    Als die beiden westlichen Spitzenpolitiker gemeinsam aufstanden, ging ein Raunen durch die Reihe der im Hintergrund stehenden Kremlfunktionäre, die jetzt erleben mussten, wie ihr sorgfältig inszeniertes Frühstück eine unerwünschte Planänderung erfuhr. Der Einzige, der nicht allzu überrascht wirkte, war der russische Präsident, der sich bereits erhoben hatte, als der Engländer und der Amerikaner auf seiner Seite des Tischs ankamen.
    »Wir müssen miteinander reden«, sagte der Premierminister. »Vertraulich.«
     
    Sie zogen sich in einen Nebenraum des St.-Georgssaals zurück und nahmen nur ihre engsten Mitarbeiter mit. Das Gespräch verlief so wenig angenehm wie das vorangegangene in Wiktor Orlows Arbeitszimmer. Auch hier wurden Stimmen erhoben, die allerdings niemand außerhalb des Raums hörte. Als die Spitzenpolitiker dann wieder zum Vorschein kamen, lächelte der russische Präsident deutlich erkennbar, was selten genug vorkam. Außerdem hatte er sein Handy am Ohr.
    Auf der später stattfindenden Pressekonferenz verwendeten Sprecher aller drei Politiker genau denselben Ausdruck, um den Vorfall zu beschreiben. Das Ganze sei eine »routinemäßige Terminabsprache« gewesen, sonst nichts. Eine Terminabsprache vielleicht, aber sicherlich keine routinemäßige.

67 L UBJANKA -P LATZ , M OSKAU
    Im dritten Stock der FSB-Zentrale befindet sich ein Büro, in dem die kleinste und geheimste Abteilung des russischen Inlandsgeheimdiensts arbeitet. In dieser Koordinationsabteilung bearbeiten erfahrene Offiziere nur politisch höchst sensible Fälle. Kurz vor zehn Uhr an diesem Morgen stand ihr Chef, Oberst Leonid Miltschenko, mit dem Telefonhörer am Ohr in strammer Haltung hinter seinem finnischen Schreibtisch. Obwohl Miltschenko im Prinzip dem Präsidenten unterstellt war, waren direkte Gespräche zwischen den beiden selten. Dieses war kurz und knapp. »Sorgen Sie dafür, Miltschenko. Bauen Sie bloß keinen Scheiß. Alles klar?« Der Oberst sagte mehrmals »Da! « und legte dann auf.
    »Wadim!«
    Wadim Strelkin, Miltschenkows Stellvertreter, steckte seinen Glatzkopf ins Zimmer. »Wo liegt das Problem?«
    »Iwan Charkow.«
    »Was gibt’s diesmal?«
    Miltschenko erklärte es ihm.
    »Scheiße!«
    »Das hätte ich auch nicht besser sagen können.«
    »Wo befindet sich die Datscha?«
    »Wladimirskaja Oblast.«
    »Wie weit draußen?«
    »Weit genug, dass wir einen Hubschrauber brauchen. Sagen Sie denen, dass sie draußen auf dem Platz landen sollen.«
    »Geht nicht. Nicht heute.«
    »Warum nicht?«
    Strelkin nickte zum Kreml hinüber. »Wegen des Gipfeltreffens ist der gesamte Luftraum

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