Der Oligarch
immer getan.«
»Sie haben sich also ausgerechnet, dass wir die Amerikaner unter Druck setzen würden, damit sie die Kinder zurückgeben?«
»Nicht die Amerikaner«, sagte Charkow, »Elena. Meine Exfrau ist wie ihr Juden: unaufrichtig und schwach.«
»Wieso der lange Zeitraum zwischen Grigorijs Entführung und Chiaras?«
»Das hat der Zar angeordnet. Grigorij war eine Art Versuchsballon. Unser Präsident wollte sehen, wie die Briten auf eine eindeutige Provokation auf englischem Boden reagieren würden. Als er nur Schwäche gesehen hat, durfte ich das Messer tiefer hineinstoßen.«
»Indem Sie meine Frau entführt und Ihre Kinder zurückgefordert haben.«
»Korrekt«, sagte Charkow. »Nach Ansicht unseres Präsidenten war Ihre Frau ein legitimes Ziel. Schließlich haben Sie und Ihre amerikanischen Freunde im vergangenen Sommer auf russischem Boden ein illegales Unternehmen durchgeführt, Allon – ein Unternehmen, das zum Tod mehrerer meiner Leute geführt hat, vom Raub meiner Familie ganz zu schweigen.«
»Und wenn Elena sich geweigert hätte, Nikolai und Anna gehen zu lassen?«
Iwan Charkow lächelte. »Dann, so war ich mir sicher, würde ich immerhin Sie bekommen.«
»Jetzt haben Sie mich, Charkow. Also lassen Sie die anderen laufen.«
»Michail und Grigorij?« Charkow schüttelte den Kopf. »Sie haben mein Vertrauen missbraucht. Und Sie wissen, was wir mit Verrätern machen, Allon.«
»Wyschaja mera. «
Charkow nickte spöttisch anerkennend.
»Sehr eindrucksvoll, Allon. Wie ich höre, haben Sie auf Ihren Reisen durch unser Land sogar ein paar Brocken Russisch aufgeschnappt.«
»Lassen Sie sie laufen, Charkow. Lassen Sie Chiara frei.«
»Chiara? O nein, Allon, auch das geht nicht. Sehen Sie, Sie haben mir meine Frau geraubt. Dafür nehme ich Ihnen jetzt Ihre. Das ist Gerechtigkeit. Genau wie es in eurem jüdischen Buch steht. Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Wunde für Wunde.«
»Das steht im zweiten Buch Mose.«
»Ja, ich weiß. Kapitel einundzwanzig, wenn ich mich recht entsinne. Eure Gesetze geben mir eindeutig das Recht, Ihnen die Frau zu nehmen, da Sie mir meine geraubt haben. Nur schade, dass Sie kein Kind haben. Das würde ich Ihnen auch nehmen. Aber das hat die PLO bereits getan, nicht wahr? In Wien. Er hieß Daniel, stimmt’s?«
Gabriel wollte sich auf ihn stürzen. Charkow wich geschickt aus, sodass Gabriel der Länge nach in den Schnee schlug. Die Leibwächter ließen ihn einige Augenblicke liegen – einige kostbare Augenblicke, dachte Gabriel –, bevor sie ihn wieder auf die Beine stellten. Charkow wischte ihm den Schnee aus dem Gesicht.
»Auch ich weiß viel, Allon. Ich weiß, dass Sie in jener Nacht in Wien waren. Ich weiß, dass Sie gesehen haben, wie die Autobombe detoniert ist. Ich weiß, dass Sie Ihre Frau und Ihren Sohn aus den Flammen gezogen haben. Erinnern Sie sich, wie Ihr Junge aussah, als Sie ihn rausgezogen haben? Nicht besonders gut, wie ich gehört habe.«
Wieder ein vergeblicher Sprung. Wieder ein Sturz in den Schnee. Auch diesmal ließen die Leibwächter ihn eine Zeit lang liegen, während sein Gesicht vor Kälte brannte. Und vor Zorn.
Zeit … Kostbare Zeit …
Sie stellten ihn wieder auf die Beine. Dieses Mal machte Charkow sich nicht die Mühe, den Schnee aus seinem Gesicht zu wischen.
»Aber kommen wir auf das Thema Verrat zurück, Allon. Wie haben Sie rausbekommen, dass Grigorij und Ihre Frau meine Gefangenen waren?«
»Anton Petrow hat es mir gesagt.«
Charkow lief puterrot an. »Und wie sind Sie an Petrow rangekommen?«
»Durch Wladimir Tschernow.«
Die Augen verengten sich. »Und Tschernow?«
»Sie sind wieder mal verraten worden, Charkow – von jemandem, den Sie für einen Freund gehalten haben.«
Der ansatzlos geschlagene Magenhaken traf Gabriel unvorbereitet. Er klappte zusammen, sodass Charkow nur noch das Knie hochzureißen brauchte. Es schickte ihn wieder in den Schnee, diesmal zu Chiaras Füßen. Sie blickte auf ihn herab, ihr Gesicht eine Maske aus Kummer und Entsetzen. Charkow spuckte aus und ging neben Gabriel in die Hocke.
»Sie dürfen nicht jetzt schon ohnmächtig werden, Allon, denn ich habe noch eine Frage an Sie. Möchten Sie zusehen, wie Ihre Frau stirbt? Oder möchten Sie lieber vor den Augen Ihrer Frau sterben?«
»Lassen Sie sie frei, Charkow.«
»Auge für Auge, Zahn für Zahn, Frau für Frau.«
Er sah zu seinen Leibwächtern auf.
»Stellt dieses Stück Dreck auf die Beine.«
71
W LADIMIRSKAJA O BLAST
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