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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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    Navot war der Erste, der den Hubschrauber entdeckte. Er kam aus Richtung Moskau, flog gefährlich schnell, kaum hundert Meter über Grund. Neunzig Sekunden später rasten zwei weitere Mi-8 über sie hinweg.
    »Zurückfahren, Oded.«
    »Was ist mit unserem Befehl?«
    »Scheiß auf den Befehl. Zurück!«
     
    Zeit …
    Die Zeit entglitt ihnen. Sie stahl sich lautlos durch den Wald davon, von einer Birke zur nächsten. Die Zeit war jetzt ihr Feind. Gabriel wusste, dass er sie irgendwie festhalten musste. Und dazu brauchte er Charkows Hilfe. Sorg dafür, dass er weiterredet, dachte er. Wenn Charkow zu reden aufhört, werden schlimme Dinge passieren.
    Im Augenblick führte Charkow, der mit einer Pranke Chiaras Oberarm umklammert hielt, schweigend den Todesmarsch auf einem verschneiten Waldweg an. Gabriel, Michail und Grigorij folgten ihnen von Leibwächtern flankiert.
    Sorg dafür, dass er weiterredet …
    »Woher kommen die Vertiefungen im Waldboden, Charkow?«
    »Wieso sind Sie so verdammt interessiert an diesen Vertiefungen?«
    »Sie erinnern mich an etwas.«
    »Das überrascht mich nicht. Wie haben Sie sie entdeckt?«
    »Satelliten. Sie sind aus dem AU gut sichtbar. Schnurgerade. Sehr gleichmäßig.«
    »Sie sind alt, aber die Männer, die sie gegraben haben, haben gut gearbeitet. Sie haben eine Planierraupe benutzt. Die steht noch hier, wenn Sie sie sehen möchten. Allerdings ist sie seit vielen Jahren defekt.«
    »Womit graben Sie also heute, Charkow?«
    »Gleiche Methode, neues Gerät. Aus Amerika importiert. Sie können über die Amerikaner sagen, was Sie wollen, aber sie bauen noch immer verdammt gute Planierraupen.«
    »Was liegt in den Gruben, Charkow?«
    »Sie sind ein kluger Junge, Allon. Sie scheinen einiges über unsere Geschichte zu wissen. Sagen Sie es mir.«
    »Ich vermute, dass dies Massengräber aus der Zeit des Großen Terrors sind.«
    »Großer Terror? Das ist eine westliche Verleumdung, die Kobas Feinde erfunden haben.«
    Koba war Stalins Parteiname gewesen. Koba war Charkows Held.
    »Wie würden Sie die systematische Folterung und Ermordung einer Dreiviertelmillion Menschen nennen, Charkow?«
    Charkow schien ernstlich darüber nachzudenken. »Ich glaube, ich würde sie als den längst überfälligen Rückschnitt von Wildwuchs bezeichnen. Die Partei war seit fast zwanzig Jahren an der Macht. Es gab viel totes Holz, das dringend weggeschnitten werden musste. Und Sie wissen, was beim Holzhacken passiert, Allon.«
    »Dabei fallen Späne.«
    »Richtig! Dabei fallen Späne.«
    Charkow übersetzte einen Teil des Gesagten für seine Leibwächter. Sie lachten. Charkow stimmte in ihr Lachen ein.
    Sorg dafür, dass er weiterredet …
    »Wie ist die Sache damals abgelaufen, Charkow?«
    »Das erleben Sie in zwei, drei Minuten selbst.«
    »Wann haben hier Hinrichtungen stattgefunden? Sechsunddreißig? Siebenunddreißig?«
    Charkow blieb stehen. Die anderen taten es ihm nach.
    »Das war siebenunddreißig – genau gesagt im Sommer siebenunddreißig. Zur Zeit der Troikas. Sie wissen, was die Troikas waren, Allon?«
    Das wusste Gabriel. Aber er gab sein Wissen nur langsam, zögerlich preis: »Stalin war verärgert, weil die Säuberungen nur schleppend vorangingen. Um sie zu beschleunigen, führte er ein neues Verfahren zur Aburteilung Beschuldigter ein: die Troikas – ein Parteimitglied, ein NKWD-Offizier und ein Staatsanwalt. Der Beschuldigte brauchte bei der Verhandlung gegen ihn nicht persönlich anwesend zu sein. Die meisten wurden verurteilt, ohne überhaupt zu wissen, dass sie angeklagt waren. Die Verfahren dauerten meist nur zehn Minuten. Viele waren kürzer.«
    »Und niemand durfte Revision einlegen«, fügte Charkow lächelnd hinzu. »Die wird übrigens auch heute nicht zugelassen.«
    Er nickte den Leibwächtern zu, die Grigorij stützten. Die Prozession setzte sich wieder in Bewegung.
    Sorg dafür, dass er weiterredet. Wenn Charkow zu reden aufhört, werden schlimme Dinge passieren.
    »Ich denke, dass die Hinrichtungen in der Datscha stattgefunden haben. Daher hat sie einen Keller mit einem speziellen Raum – mit einem Abfluss in der Bodenmitte. Und deshalb ist die Zufahrt nicht gerade, sondern kurvig angelegt. Stalins Schergen wollten bestimmt nicht, dass die Nachbarn mitbekamen, was hier passierte.«
    »Die hatten nicht die leiseste Ahnung. Die Verurteilten wurden stets nach Mitternacht abgeholt und in schwarzen Limousinen hergebracht. Hier in der Datscha wurden sie erst einmal mit

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