Der Oligarch
stehen. Hielt den Kopf schief wie ein Hund. Musterte Rudenko mit scharfem Blick. Setzte sich wieder in Bewegung. Zeit … Kostbare Zeit …
Navots Meldung lief über die Bildschirme des Lageraums.
HUBSCHRAUBER IM ANFLUG …
Carter bedeckte seinen Telefonhörer mit der Hand und sah zu Schamron hinüber.
»Das FSB-Team bestätigt, dass eine Menschenschlange durch den Wald unterwegs ist. Sie leben offenbar noch, Ari!«
»Bestimmt nicht mehr lange. Wann sind die Alphas am Boden?«
»In neunzig Sekunden.«
Schamron schloss die Augen.
Zwei Drehungen nach links, zwei nach rechts …
Das ausgehobene Grab öffnete sich vor ihnen wie eine Wunde im Fleisch von Mütterchen Russland. Der aschgraue Himmel weinte Schnee, als sie, von fernem Rotorknattern begleitet, langsam darauf zustapften. Große Rotoren, dachte Gabriel. Groß genug, um den Wald erzittern zu lassen. Groß genug, um Charkows Männer unruhig zu machen. Auch Charkow selbst. Er brüllte Grigorij plötzlich auf Russisch an, drängte ihn, schneller in den Tod zu marschieren. Aber Gabriel versuchte, Grigorij durch die Kraft seiner Gedanken dazu zu bringen, langsamer zu gehen. Zu stolpern. Alles Menschenmögliche zu tun, damit die Hubschrauber noch rechtzeitig kamen.
Im nächsten Augenblick fegte die erste Mi-8 in Baumhöhe über sie hinweg und zog eine Schleppe aus aufgewirbeltem Schnee hinter sich her. In dem Schneesturm verschwand Charkow vorübergehend. Als er wieder auftauchte, war sein Gesicht vor Wut verzerrt. Er stieß Grigorij vor sich her auf das offene Grab zu und begann seine Leibwächter anzubrüllen. Die meisten achteten gar nicht mehr darauf. Einige aus seiner meuternden Legion beobachteten, wie der Hubschrauber am Rand des Sumpfgebiets aufsetzte. Andere starrten besorgt nach Westen, wo zwei weitere Hubschrauber aufgetaucht waren.
Vier Leibwächter hielten Iwan Charkow die Treue. Auf seinen Befehl stellten sie die Todgeweihten am Rand der Grube auf – mit dem Rücken zur Grube, weil Charkow ihnen ins Gesicht schießen wollte. Gabriel stand an einem Ende, Michail am anderen, Chiara und Grigorij in der Mitte. Grigorij war neben Gabriel platziert worden, aber das war anscheinend falsch. Mit einem russischen Wortschwall und wild geschwenkter Pistole befahl Charkow seinen Männern, Grigorij neben Michail und Chiara neben Gabriel zu stellen.
Noch während die Reihenfolge geändert wurde, donnerten die beiden anderen Hubschrauber heran. Im Gegensatz zu der ersten Mi-8 rasten sie nicht über die kleine Gruppe hinweg, sondem gingen direkt darüber in den Schwebeflug über. Aus ihren Rümpfen schlängelten sich Taue, und Sekunden später seilten sich Männer der Alpha-Gruppe in schwarzen Overalls durch die Bäume ab. Gabriel hörte, wie Waffen fallen gelassen wurden und in den Schnee plumpsten, und sah erhobene Hände, als die Leibwächter sich ergaben. Und er sah zwei Männer in Wintermänteln unbeholfen durch den Schnee rennen. Er sah, wie Oleg Rudenko sich verzweifelt bemühte, Charkow die Waffe zu entreißen. Aber Charkow wollte sie nicht hergeben. Charkow wollte Blut sehen.
Charkow versetzte dem Chef seines Sicherheitsdiensts einen gewaltigen Stoß vor die Brust, der Rudenko rückwärts in den Schnee taumeln ließ. Dann zielte er mit der Makarow direkt in Gabriels Gesicht. Aber er drückte nicht ab. Stattdessen lächelte er und rief: »Viel Spaß beim Zusehen, wie Ihre Frau stirbt, Allon.«
Die Makarow schwenkte nach rechts. Gabriel stürzte sich auf Charkow, aber er konnte ihn nicht erreichen. Dann fiel ein ohrenbetäubend lauter Pistolenschuss. Als Gabriel auf dem Bauch im Schnee landete, warfen sich sofort zwei Alphas auf ihn und nagelten ihn auf dem gefrorenen Boden fest. Er versuchte mehrere quälende Sekunden lang, sich zu befreien, aber die Russen ließen nicht einmal zu, dass er den Kopf hob. »Meine Frau!«, schrie er sie an. »Hat er meine Frau erschossen?« Ob sie antworteten, wusste er nicht. Von dem Knall war er taub geworden. Er nahm nur einen gigantischen Kampf wahr, der sich irgendwo neben seiner Schulter abspielte. Einige Augenblicke später sah er, wie Charkow durch den Wald abgeführt wurde.
Erst jetzt zerschnitten die Russen Gabriels Fesseln und halfen ihm aufzustehen. Als er sich rasch umsah, entdeckte er Chiara, die weinend bei einer im Schnee liegenden Gestalt kniete. Dort lag Grigorij. Gabriel sank neben ihr auf die Knie und versuchte sie zu trösten, aber sie schien ihn nicht wahrzunehmen. »Sie haben sie
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