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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Schlägen gefügig gemacht. Dann hieß es ab in den Keller. Sieben Gramm Blei ins Genick.«
    »Und dann?«
    »Dann wurden sie auf Karren geworfen und zu den Gräbern hinausgefahren.«
    »Wer ist hier draußen verscharrt, Charkow?«
    »Im Sommer siebenunddreißig war der schlimmste Wildwuchs schon weggeschnitten. Koba musste nur noch das Unterholz beseitigen.«
    »Das Unterholz?«
    »Menschewiken. Anarchisten. Alte Bolschewisten, die noch Lenins Mitstreiter gewesen waren. Zur Abrundung ein paar Geistliche, Kulaken und Aristokraten. Wer nach Kobas Ansicht irgendwie hätte gefährlich werden können, wurde liquidiert. Anschließend auch ihre Familien. In diesem Wald liegt ein buntes Sammelsurium von Revolutionären begraben, Allon. Sie schlafen alle gemeinsam. In manchen Nächten kann man fast hören, wie sie sich über Politik streiten. Und das Beste daran ist, dass niemand weiß, dass sie überhaupt hier liegen.«
    »Weil Sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dieses Grundstück gekauft haben, um sicherzustellen, dass die Toten begraben bleiben?«
    Iwan Charkow blieb stehen. »Tatsächlich bin ich gebeten worden, das Grundstück zu kaufen.«
    »Von wem?«
    »Natürlich von meinem Vater.«
    Charkow hatte geantwortet, ohne zu zögern. Nachdem Gabriels bohrende Fragen ihm anfangs lästig gewesen waren, schien ihr Gespräch ihm jetzt tatsächlich Spaß zu machen. Gabriel stellte sich vor, dass es angenehm sein musste, seine Geheimnisse einem Mann anzuvertrauen, der bald tot sein würde. Er wollte gerade eine neue Frage formulieren, die Charkow zum Weiterreden animieren sollte, aber das war nicht nötig. Charkow setzte seinen Vortrag unaufgefordert fort.
    »Für den KGB war der Zusammenbruch der Sowjetunion eine gefährliche Zeit. Von verschiedenen Seiten wurde gefordert, er müsse seine Archive öffnen. Schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit waschen. Namen nennen. Die alte Garde war entsetzt. Sie wollte nicht, dass der KGB in den Schmutz gezogen wurde. Aber das war nicht das einzige Motiv für den Wunsch nach Geheimhaltung. Sehen Sie, Allon, die Männer hatten keineswegs vor, lange entmachtet zu bleiben. Sie haben schon damals ihr Comeback geplant. Das ist ihnen auch gelungen: Unter einem anderen Namen herrscht der KGB heute wieder über Russland.«
    »Und Sie führen die Aufsicht über das letzte Massengrab des Großen Terrors.«
    »Das letzte Massengrab? Wohl kaum. In Russland kann man im Grunde nirgends graben, ohne Menschenknochen zutage zu fördern. Aber dieses hier ist ziemlich groß. Unter diesen Bäumen liegen schätzungsweise siebzigtausend Seelen begraben. Siebzigtausend. Wenn das jemals bekannt würde …« Er brach ab, als fehlten ihm vorübergehend die Worte. »Sagen wir einfach, dass das den Kreml beträchtlich in Verlegenheit bringen könnte.«
    »Duldet der Präsident Ihre Aktivitäten deshalb so bereitwillig?«
    »Er bekommt seinen Anteil. Der Zar kassiert überall seinen Anteil.«
    »Wie viel mussten Sie für das Recht zahlen, meine Frau entführen zu dürfen?«
    Iwan Charkow gab keine Antwort. Gabriel bohrte weiter, um so vielleicht einen neuerlichen Wutausbruch zu provozieren.
    »Wie viel, Charkow? Fünf Millionen? Zehn? Zwanzig?«
    Charkow warf sich herum. »Ich habe Ihre Fragen satt, Allon. Wir haben es nicht mehr weit. Ihr anonymes Grab wartet auf Sie.«
    Gabriel sah über Chiaras Schulter und entdeckte einen großen Haufen frisch ausgehobener Erde, der mit einer dünnen Schneeschicht bestäubt war. Er sagte ihr, dass er sie liebte. Dann schloss er die Augen. Und hörte schon wieder ein auffälliges Geräusch.
    Hubschrauber.

72 W LADIMIRSKAJA O BLAST , R USSLAND
    Oberst Leonid Miltschenko konnte endlich das Zielgebiet erkennen: vier zugefrorene Bäche, die in einem zugefrorenen Sumpf zusammenflossen, eine kleine Datscha mit aufgesprengter Haustür und eine Menschenschlange, die langsam durch den Birkenwald zog.
    Er drückte seine Sprechtaste. »Seht ihr sie?«
    Der Helm des Piloten bewegte sich rasch auf und ab.
    »Wie nahe könnt ihr rankommen?«
    »Bis zum Rand des Sumpfgebiets.«
    »Der ist mindestens dreihundert Meter weit weg.«
    »Näher kann ich mit diesem Ding nicht aufsetzen, Oberst.«
    »Und die Alphas?«
    »Die seilen sich ab. Zwischen den Bäumen.«
    »Keine Toten!«
    »Zu Befehl, Oberst.«
    Keine Toten …
    Wem wollte er das einreden? Dies war Russland. Irgendjemand starb immer.
     
    Zehn weitere Schritte durch den Schnee. Dann hörte auch Charkow die Hubschrauber. Er blieb

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