Der Oligarch
schöne Frauen, vor allem für Russinnen. Und wie Uzi Navot ließ er sich sehr leicht besänftigen.
»Ich weiß nicht, wieso wir uns hier treffen mussten«, sagte Navot jetzt. »Du kennst doch meine Vorliebe für das Backhuhn bei Jo Goldenberg.«
»Sein Restaurant ist geschlossen, Uzi. Weißt du das etwa nicht?«
»Ja, ich weiß. Aber ich kann es noch immer nicht glauben. Was ist das Marais ohne Jo Goldenberg?«
Das jüdische Restaurant Goldenberg hatte über ein halbes Jahrhundert lang in prominenter Lage in der Rue des Rosiers Nummer 7 existiert. Juden aus aller Welt hatten sich auf seinen abgewetzten roten Polsterbänken gedrängt, um Kaviar, Leberfrikassee, Rinderbrust und Kartoffelpuffer zu genießen. Das hatten auch französische Filmstars, Minister, berühmte Autoren und Journalisten getan. Aber wegen seiner Prominenz war Jo Goldenberg auch ein einladendes Ziel für Extremisten und Terroristen gewesen, und im August 1982 waren bei einem Anschlag der palästinensischen Terrororganisation Abu Nidal sechs Gäste durch Handgranaten und MP-Feuer ums Leben gekommen. Letztlich hatte jedoch nicht Terrorismus diese Pariser Institution zu Fall gebracht, sondern rasant steigende Mieten und wiederholte Geldbußen wegen sanitärer Mängel.
»Du kannst von Glück sagen, dass dieses Huhn dich nicht umgebracht hat, Uzi. Wer weiß, wie lange es dort in der Küche herumgelegen hat, bevor es gebacken und dir serviert wurde.«
»Es war ausgezeichnet. Und der Borschtsch auch. Du hast den Borschtsch im Goldenberg geliebt.«
»Ich hasse Borschtsch. Ich habe Borschtsch schon immer gehasst.«
»Warum hast du ihn dann bestellt?«
»Du hast ihn für mich bestellt. Und anschließend auch für mich gegessen.«
»So habe ich die Sache nicht in Erinnerung.«
»Wie du meinst, Uzi.«
Bisher hatten sie sich in rasendschnellem Französisch unterhalten. Jetzt wandte sich Navot an Olga und fragte auf Englisch: »Hätten Sie nicht auch gern einen schönen Teller Borschtsch gehabt, Miss Suchowa?«
»Ich bin Russin. Wozu um Himmels willen würde ich in Paris Borschtsch bestellen?«
Navot sah wieder zu Gabriel hinüber. »Ist sie immer so grätig?«, fragte er auf Hebräisch.
»Russen haben einen etwas düsteren Sinn für Humor.«
»Allerdings!« Navot sah durchs Fenster auf die Gasse hinaus. »Seit ich nicht mehr in Paris bin, hat sich das Viertel gewaltig verändert. Ich bin immer hergekommen, wenn ich ein paar Stunden Zeit für mich hatte. Früher war dies ein Stück Tel Aviv in Paris. Aber jetzt …« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt gibt’s im Marais dieselben Lederwaren und Luxusuhren wie überall. Nicht mal gute Falafel kann man hier noch kriegen.«
»Genau das will der Oberbürgermeister. Alles hübsch ordentlich mit massenhaft schicken Läden, die hohe Mieten und hohe Steuern zahlen. Vor ein paar Monaten haben sie sogar versucht, hier einen McDonald’s anzusiedeln, aber dagegen hat das ganze Viertel rebelliert. Der arme Jo Goldenberg ist finanziell nicht mehr über die Runden gekommen. Zuletzt hat er dreihunderttausend Euro Jahresmiete gezahlt.«
»Kein Wunder, dass in seiner Küche schlimme Zustände geherrscht haben.«
Navot tat so, als studiere er seine Speisekarte. Als er schließlich weitersprach, klang sein Tonfall entschieden weniger herzlich.
»Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Ich komme nach Italien und beordere dich nach Israel zurück, weil wir glauben, dein Leben könnte in Gefahr sein. Du erzählst mir, dass du noch drei Tage brauchst, um eine Restaurierung abzuschließen, und ich lasse mich dummerweise darauf ein. Dann erfahre ich binnen vierundzwanzig Stunden, dass du deinen Leibwächtern entwischt und nach London gereist bist, um wegen des Verschwindens des russischen Überläufers Grigorij Bulganow zu ermitteln. Und heute Morgen erhalte ich die Mitteilung, dass du in Begleitung von Olga Suchowa, der russischen Überläuferin Nummer zwei, in Paris angekommen bist. Habe ich irgendwas ausgelassen?«
»Wir mussten Olgas Siamkatze in Julians Galerie zurücklassen. Du musst jemanden von der Londoner Station hinschicken, der sie abholt. Sonst setzt Julian sie noch im Green Park aus.«
Gabriel zog Grigorijs Brief aus der Innentasche seiner Lederjacke und warf ihn auf den Tisch. Navot las ihn schweigend, ohne eine Miene zu verziehen. Dann sah er wieder auf.
»Ich will alles wissen, was du in England gemacht hast, Gabriel. Ohne Änderungen, Auslassungen, Beschönigungen oder Verkürzungen. Hast
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