Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Borschtsch.«

21 M ONTMARTRE , P ARIS
    Das Apartmentgebäude stand am Ostrand des Stadtbezirks Montmartre gleich neben dem Friedhof. Es hatte einen hübschen kleinen Innenhof und eine elegante Treppe mit einem abgetretenen roten Kokosläufer. Die Wohnung lag im zweiten Stock; von dem behaglich eingerichteten Wohnzimmer aus hätte man die weiße Kuppel der Basilika Sacré-Cœur sehen können, wenn Schamron nicht das Fenster blockiert hätte. Sobald er die Tür hörte, drehte er sich um und starrte Gabriel lange an, als überlege er, ob er ihn erschießen oder wilden Hunden zum Fraß vorwerfen lassen sollte. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug und eine teure italienische Seidenkrawatte. Damit sah er wie ein alter mitteleuropäischer Geschäftsmann aus, der sein Geld auf zweifelhafte Weise verdient und am Bakkarattisch niemals verliert.
    »Wir haben dich beim Mittagessen vermisst, Ari.«
    »Ich esse nie zu Mittag.«
    »Nicht mal wenn du in Paris bist?«
    »Ich hasse Paris. Vor allem im Winter.« Er zog ein Zigarettenetui aus der Brusttasche seines Jacketts und ließ es aufspringen.
    »Ich dachte, du hättest das Rauchen endlich aufgegeben.«
    »Und ich dachte, du wärst in Italien, um eine Restaurierung abzuschließen.« Schamron nahm eine Zigarette heraus, klopfte den Tabak drei Mal auf dem Deckel fest und steckte sie sich zwischen die Lippen. »Und du fragst dich, wieso ich nicht endlich in Ruhestand gehe.«
    Sein Feuerzeug flammte auf. Dies war nicht das verkratzte alte Zippo, das er zu Hause benutzte, sondern ein elegantes flaches Silberfeuerzeug, das eine bläuliche Flamme erzeugte. Die filterlose türkische Zigarette war jedoch seine gewohnte Marke: Ihr beißender Rauch gehörte ebenso zu Schamron wie sein typischer Gang und sein unerschütterlicher Wille, jeden zu zerquetschen, der töricht genug war, sich ihm in den Weg zu stellen.
    Ari Schamrons Einfluss auf Verteidigung und Sicherheit des Staates Israel beschreiben zu wollen, glich dem Versuch, die Rolle des Wassers bei der Entstehung und beim Fortbestand des Lebens auf der Erde schildern zu wollen. In vielerlei Hinsicht war Schamron der Staat Israel. Er hatte in den Kriegen gekämpft, die zur Neugründung Israels geführt hatten, und die folgenden sechzig Jahre damit verbracht, den Staat vor zahlreichen Feinden zu schützen, die ihn vernichten wollten. Am hellsten hatte sein Stern in Zeiten von Krieg und Krisen gestrahlt.
    Nachdem Schamron kurz nach dem katastrophalen Jom-Kippur-Krieg des Jahres 1973 zum Direktor des Diensts ernannt worden war, hatte er diesen Posten länger bekleidet als jeder andere Direktor vor oder nach ihm. Als der Ruf des Diensts durch eine Serie von Skandalen auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt war, war er aus dem Ruhestand zurückgerufen worden und hatte ihn mit Gabriels Unterstützung wieder in ein positives Licht gerückt. Seine zweite Pensionierung war ebenso unfreiwillig erfolgt wie die erste. Manche seiner Anhänger verglichen sie sogar mit der Zerstörung des zweiten Tempels.
    Schamrons Rolle war die einer grauen Eminenz. Obwohl er keinen Titel mehr hatte, keinen offiziellen Posten mehr bekleidete, blieb er die unsichtbare Hand, die Israels Sicherheitspolitik lenkte. Hätte man sein Haus in Tiberias nach Mitternacht betreten, hätte man dort sicherlich mehrere Männer angetroffen, die in Hemdsärmeln am Küchentisch saßen und, in blaue Zigarettenluft gehüllt, lautstark diskutierten, während die arme Gilah, Schamrons Kummer gewöhnte Frau, mit ihrer Stickerei und ihrem Mozart im Wohnzimmer saß und darauf wartete, dass die Jungs gingen, damit sie den Abwasch machen konnte.
    »Du hast es geschafft, für ziemliche Aufregung jenseits des Kanals zu sorgen, mein Sohn. Aber das scheint deine Spezialität geworden zu sein.« Schamron blies eine Rauchwolke in Richtung Decke, wo sie im schwachen Lampenschein wie eine aufziehende Sturmwolke waberte. »Dein Freund Graham Seymour kämpft anscheinend um seinen Job. Massel tow, Gabriel. Nicht übel für drei Tage Arbeit.«
    »Graham wird’s überleben. Das tut er immer.«
    »Aber zu welchem Preis?«, fragte Schamron, als führe er ein Selbstgespräch. »Die Downing Street und die Spitzen von MI5 und MI6 sind über deine heimlichen Ermittlungen in England empört. Sie überlegen sogar, ob sie die Zusammenarbeit mit uns auf allen möglichen wichtigen Gebieten einstellen sollen. Dabei brauchen wir sie gerade jetzt, Gabriel. Du übrigens auch.«
    »Wieso ich?«
    »Vielleicht ist das

Weitere Kostenlose Bücher