Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
›auszusaugen‹.«
    »Wie charmant!«
    »Diese Leute sind die Nachfolger Dserschinskis, Jeschows und Berias. Sie sind alles andere als charmant – vor allem nicht jemandem gegenüber, der den Briten und Amerikanern Familiengeheimnisse verraten hat.«
    »Vermute ich richtig, dass Sie selbst Erfahrung mit solchen Dingen haben?«
    »Mit Verhören?« Gabriel schüttelte den Kopf. »Nein, die waren nie meine Spezialität.«
    »Wie lange dauert ein wirkungsvolles Verhör?«
    »Kommt darauf an.«
    »Worauf?«
    »Ob der Befragte kooperiert oder nicht. Und selbst wenn er es tut, kann es Wochen oder Monate dauern, bis sichergestellt ist, dass er den Vernehmern alles gesagt hat, was sie wissen wollen. Denken Sie nur an die Gefangenen in Guantánamo Bay. Manche von ihnen werden seit Jahren erbarmungslos verhört.«
    »Armer Grigorij. Armer, törichter Grigorij.«
    »Er war töricht. Er hätte niemals so öffentlich in London leben dürfen. Und er hätte den Mund halten sollen. So musste es Ärger geben.«
    »Gibt es denn eine Möglichkeit, ihn zurückzuholen?«
    »Das ist nicht ausgeschlossen. Aber im Augenblick mache ich mir Ihretwegen Sorgen.«
    Gabriel sah aus dem Fenster. Die Sonne war hinter den Dächern der Colleges verschwunden, sodass die High Street im Schatten lag. Ein städtischer Bus rumpelte vorbei, gefolgt von einer Fahrradprozession von Studenten.
    »Sie hatten Kontakt zu ihm, Olga. Er weiß alles über Sie. Ihren Decknamen. Ihre Adresse. Wir müssen annehmen, dass Charkow das nun ebenfalls weiß.«
    »Ich habe eine Telefonnummer, die ich im Notfall anrufen kann. Die Briten sagen, dass sie mich minutenschnell abholen können.«
    »Wie Sie sich vielleicht denken können, beeindrucken die britischen Geheimdienste mich im Augenblick nicht sonderlich.«
    »Wollen Sie mich aus Oxford mitnehmen, ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen?«
    »In der Tat, notfalls mit Gewalt. Wo haben Sie Ihren neuen britischen Pass?«
    »In der oberen Nachttischschublade.«
    »Den werden Sie brauchen – dazu etwas Kleidung zum Wechseln und alles Sonstige, was Sie nicht zurücklassen wollen.«
    »Ich brauche meinen Computer und meine Notizen. Und Cassandra. Ohne Cassandra komme ich nicht mit.«
    »Wer ist Cassandra?«
    »Meine Katze.«
    »Wir lassen dem Tier reichlich Futter und Wasser da. Morgen schicke ich jemanden, der es abholt.«
    »Cassandra ist eine Dame, Gabriel, kein es. «
    »Wenn sie keine Blindenkatze ist, darf sie im Eurostar nicht mitfahren.«
    »Im Eurostar?«
    »Wir fahren nach Paris. Und wir müssen uns beeilen, wenn wir den letzten Zug erwischen wollen.«
    »Wann fährt der?«
    Neunzehn Uhr neununddreißig, dachte er. Pünktlich.

19
O XFORD
    Der städtische Bus Nummer 5 fährt vom Bahnhof durch das Einkaufsviertel Templars Square und über die Magdalen Bridge zu der Sozialsiedlung Blackbird Leys hinaus. Olga und Gabriel stiegen vor dem All-Souls-College ein und an der ersten Haltestelle in der Cowley Road wieder aus. Mit ihnen stiegen fünf weitere Fahrgäste aus. Vier von ihnen gingen in andere Richtungen davon. Der fünfte Fahrgast, ein Mann mittleren Alters, folgte ihnen kurze Zeit, bis er die Kirche an der Ecke der Jeune Street betrat. Aus der Kirche drang der Klang betender Stimmen auf die Straße.
    »Hier findet jeden Mittwoch ein Abendgottesdienst statt.«
    »Am besten warten Sie dort drinnen, während ich Ihre Sachen hole.«
    »Ich will mich von Cassandra verabschieden und nachsehen, ob sie alles hat, was sie braucht.«
    »Sie trauen mir nicht zu, sie zu füttern?«
    »Sie mögen keine Tiere.«
    »Tatsächlich ist es genau andersherum. Ich habe Narben, die das beweisen.«
    Sie bogen auf die Rectory Road ab und hielten direkt auf Olgas Haustür zu. Wie zuvor lehnte ihr Fahrrad an der Mülltonne hinter der niedrigen Ziegelmauer. Am Türknopf hing ein limonengrüner Werbezettel eines neu eröffneten indischen Schnellrestaurants. Olga riss ihn ab, bevor sie ihren Hausschlüssel ins Schloss steckte, aber der Schlüssel ließ sich nicht drehen. Im nächsten Moment sprang irgendwo auf der düster beleuchteten Straße ein Motor an. Und Gabriel spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
    Einem gewöhnlichen Menschen hätten diese aufeinanderfolgenden Ereignisse vermutlich nichts oder nicht viel bedeutet. Aber für einen Mann wie Gabriel Allon glichen sie einer roten Leuchtschrift, die hektisch blinkend vor großer Gefahr warnte. Als er den Kopf nach rechts drehte, sah er ein unbeleuchtetes Auto mit hoher

Weitere Kostenlose Bücher