Der Oligarch
deiner Aufmerksamkeit entgangen, aber die Mullahs in Teheran sind kurz davor, ihre Atombombe fertigzustellen. Unser neuer Ministerpräsident und ich sind Anhänger derselben Philosophie: Wir halten nichts davon, untätig herumzusitzen, während andere unsere Vernichtung planen. Und wenn Leute davon sprechen, uns vom Angesicht der Erde zu tilgen, nehmen wir sie gern beim Wort. Wir haben beide unsere Familien im ersten Holocaust verloren und wollen unser Land nicht in einem zweiten verlieren – zumindest nicht kampflos.«
Schamron nahm seine Brille ab und begutachtete die Gläser mit zusammengekniffenen Augen. »Sind wir eines Tages gezwungen, den Iran anzugreifen, ist ein Gegenangriff der Hisbollah, der iranischen Stellvertreter-Armee im Libanon, unvermeidlich. Du solltest wissen, dass vor Kurzem eine Hisbollah-Delegation heimlich auf Einkaufstour in Moskau war. Und sie hat keine Matroschkapuppen und Pelzmützen eingekauft, sondern unseren alten Freund Iwan Charkow aufgesucht. Wie man hört, hat Charkow ihr dreitausend Panzerabwehrraketen Kornet für die Montage auf Geländewagen und mehrere tausend RPG-32 verkauft. Und weil er wusste, dass die Waffen gegen uns eingesetzt werden sollen, hat er ihr einen hübschen Rabatt eingeräumt.«
»Steht fest, dass Charkow der Lieferant war?«
»Sein Name ist in mehreren abgefangenen Nachrichten aufgetaucht.« Schamron setzte seine Brille wieder auf und musterte Gabriel. »Bei Feinden wie dem Iran, der Hisbollah und Iwan Charkow brauchen wir alle Freunde, die wir nur finden können, Gabriel. Deshalb sind wir auf gute Beziehungen zu den Briten angewiesen.« Schamron machte eine Pause. »Und deshalb sind wir darauf angewiesen, dass du deine endlosen Flitterwochen beendest und nach Hause kommst.«
Gabriel merkte, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Er beschloss, Schamron seine Aufgabe nicht dadurch zu erleichtern, dass er eine Suggestivfrage stellte. Der Alte, den sein bewusstes Schweigen sichtlich ärgerte, drückte seine Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Couchtisch aus.
»Unser neuer Ministerpräsident gehört seit vielen Jahren zu deinen Bewunderern. Den jetzigen Direktor des Diensts beurteilt er weit kritischer. Arnos und er waren für kurze Zeit Kollegen im militärischen Geheimdienst AMAN. Sie konnten einander nicht ausstehen, und dieser Hass hat bis heute gehalten. Arnos wird nicht mehr lange im Amt sein. Letzte Woche hat der Ministerpräsident mich bei einem privaten Abendessen gefragt, wen ich mir als nächsten Direktor des Diensts wünsche. Ich habe ihm natürlich dich genannt.«
»Ich habe überdeutlich klargemacht, dass dieser Job mich nicht interessiert.«
»Dieses Gerede kenne ich. Es langweilt allmählich. Außerdem entspricht es nicht den jetzigen Realitäten. Dem Staat Israel droht die größte Gefahr seiner Geschichte. Falls du’s nicht gemerkt haben solltest: Wir sind im Augenblick nicht sonderlich beliebt. Und die vom Iran ausgehende Gefahr bedeutet noch größere Labilität und potenzielle Gewalt im Nahen Osten. Was hast du also vor, Gabriel? Willst du auf deinem italienischen Landgut bleiben und weiter Gemälde für den Papst restaurieren?«
»Ja.«
»Das ist nicht realistisch.«
»Vielleicht nicht für dich, Ari, aber genau das habe ich vor. Ich habe dem Dienst die Hälfte meines Lebens geopfert. Ich habe meinen Sohn verloren. Ich habe meine erste Frau verloren. Ich habe das Blut anderer Männer und mein eigenes vergossen. Mir reicht’s, versteht du? Sag dem Ministerpräsidenten, dass er sich einen anderen suchen soll.«
»Er braucht dich. Unser Land braucht dich.«
»Du übertreibst ein bisschen, findest du nicht auch?«
»Nein, ich bin nur ehrlich. Das Land hat das Vertrauen zu seinen politischen Führern verloren. Unsere Gesellschaft beginnt zu zerfallen. Die Leute brauchen jemanden, an den sie glauben können. Jemanden, dem sie vertrauen können. Jemanden, der über jeden Zweifel erhaben ist.«
»Ich habe als Attentäter gemordet. Ich bin kaum über jeden Zweifel erhaben.«
»Du warst ein Soldat auf einem geheimen Schlachtfeld. Du hast Menschen Gerechtigkeit verschafft, die sie nicht selbst erlangen konnten.«
»Und ich habe dabei alles verloren. Zuletzt sogar fast mich selbst.«
»Aber dein Leben ist restauriert worden – genau wie eines deiner Gemälde. Du hast Chiara. Wer weiß? Vielleicht hast du bald ein weiteres Kind.«
»Gibt’s da etwas, das ich wissen sollte, Ari?«
Schamrons Feuerzeug flammte nochmals auf.
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