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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Gesicht auf dem Monitor sah, erkannte darauf Angst. Eine erinnerte Angst wie die Furcht vor einem Kindheitstrauma. Noch ein Mal nachfassen, dann würde sie zusammenklappen. Wie aufs Stichwort brachte Michail eine zweite Aufnahme zum Vorschein: eine Ausschnittsvergrößerung des ersten Fotos. Sie war körnig und wies dunkle Schlagschatten auf, aber die Identität der außen am Fenster sitzenden Frau stand außer Zweifel.
    »Dies ist der Beweis dafür, dass Sie an einem auf britischem Boden verübten Kapitalverbrechen mitgewirkt haben.«
    Irina sah sich verzweifelt um, als suche sie einen Ausweg. Michail steckte die beiden Fotos gelassen in ihren Umschlag zurück, den er wieder in seinen Aktenkoffer legte.
    »Beginnen wir noch mal von vorn, ja? Und diesmal sollten Sie lieber wahrheitsgemäß antworten. Ihr Reisepass enthält kein Einreisevisum für Großbritannien. Wie konnten Sie also dort einreisen?«
    Ihre Antwort war so leise, dass sie fast unhörbar war. Tatsächlich wussten Michail und Lavon nicht genau, ob sie richtig gehört hatten. Keine Unsicherheit gab es jedoch in der Abhörstation in der Bibliothek; dort war jeder Ton, den zwei vor Irina verdeckt eingebaute, hochempfindliche Mikrofone lieferten, kristallklar zu hören. Olga sah Gabriel an und sagte: »Wir haben sie!« Michail nickte Irina aufmunternd zu und forderte sie auf, lauter zu sprechen.
    »Ich bin mit einem anderen Pass gereist«, wiederholte sie etwas lauter.
    »Der auf einen anderen Namen ausgestellt war?«
    »Richtig.«
    »Von wem hatten Sie diesen Pass?«
    »Sie haben sich als Freunde Grigorijs ausgegeben. Sie haben gesagt, ich müsse zu meinem eigenen Schutz mit falschen Papieren reisen.«
    »Wieso haben Sie mir das nicht gleich erzählt?«
    »Sie haben mich davor gewarnt, jemals darüber zu sprechen. Sonst würden sie mich umbringen.« Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange. Irina wischte sie ärgerlich weg, als schäme sie sich für diese Schwäche. »Sie haben damit gedroht, meine ganze Familie zu ermorden. Diese Leute haben nichts Menschliches an sich. Sie sind wie Tiere. Bitte, Sie müssen mir glauben!«
    Dieses Mal antwortete nicht Michail, sondern die bisher schweigsame Gestalt, die links neben ihm saß. Der freundliche kleine Mann mit dem schütteren Haar und dem verknitterten Anzug. Der Unschuldsengel, der jetzt einen Brief in seinen kleinen Händen hielt. Den Brief, den Grigorij Bulganow zwei Wochen vor seinem Verschwinden in Oxford hinterlegt hatte. Jetzt übergab er ihn Irina, als überreiche er der Frau eines gefallenen Soldaten die zusammengelegte Fahne, die seinen Sarg bedeckt hatte. Ihre Hände zitterten, als sie die wenigen Sätze las.
    Ich fürchte, dass mein Wunsch nach einer Versöhnung mit meiner geschiedenen Frau sie in Gefahr gebracht hat. Wenn Ihre Leute in Moskau ab und zu nach ihr sehen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
    »Wir glauben nicht, dass er tot ist«, sagte Lavon. »Noch nicht. Aber wir müssen rasch arbeiten, wenn wir ihn zurückholen wollen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Wir sind Freunde, Irina. Uns können Sie vertrauen.«
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Erzählen Sie uns, wie sie es gemacht haben. Erzählen Sie uns, wie sie Ihren Exmann entführt haben. Und lassen Sie vor allem nichts aus. Glauben Sie mir, Irina, manchmal sind die kleinsten Details die wichtigsten.«

27
C OMER S EE , I TALIEN
    Sie bat um Tee und eine Zigarettenpause. Jossi und Dina kümmerten sich um den Tee, Lavon – selbst ein starker Raucher – leistete ihr bei einer Zigarette Gesellschaft. Nachdem das Band zwischen ihnen durch gemeinsamen Tabakgenuss gestärkt war, drehte sie sich auf ihrem Stuhl leicht zur Seite und hob die linke Hand wie eine Scheuklappe, um Michail nicht mehr sehen zu müssen. Für Irina existierte er nicht mehr. Und deshalb brauchte Michail nicht zu erfahren, dass der Mann, der sie durch Täuschung dazu gebracht hatte, an der Entführung ihres früheren Ehemanns mitzuwirken, sie am neunzehnten Dezember angesprochen hatte. An diesen Tag erinnerte sie sich genau, denn er war ihr Geburtstag gewesen. Ihr Geburtstag, den sie mit Leonid Breschnjew gemeinsam hatte, was in ihrer Schulzeit eine große Ehre gewesen war.
    An jenem Montag hatten ihre Kollegen darauf bestanden, Irina zu Champagner und Sushi in die O 2 -Lounge des Hotels Ritz-Carlton einzuladen. Angesichts des Zustands der russischen Wirtschaft erschien ihr das als ziemlich hemmungslose Verschwendung. Aber sie brauchten alle eine Ausrede, um sich zu

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