Der Oligarch
mir einen schönen Urlaub gewünscht.«
»Und als Sie ins Ankunftsgebäude gekommen sind?«
»Dort hat Anatolij an der Absperrung gewartet.« Eine Pause, dann: »Er hat mich zuerst gesehen. Ich habe ihn nicht gleich erkannt.«
»Er hat eine Brille getragen?«
»Und einen weichen Filzhut.«
»Wie würden Sie seine Stimmung beschreiben?«
»Ruhig, sehr geschäftsmäßig. Er hat mir einen der Koffer abgenommen und mich nach draußen geführt. Dort hat ein Wagen gewartet.«
»Erinnern Sie sich an die Marke?«
»Mercedes.«
»Und das Modell?«
»Damit kenne ich mich nicht aus. Aber er war groß.«
»Farbe?«
»Natürlich schwarz. Ich habe angenommen, er gehöre Wiktor Orlow. Ein Mann wie Wiktor würde nur in einer schwarzen Limousine fahren.«
»Was ist dann passiert?«
»Er hat gesagt, Grigorij warte an einem sicheren Ort. Aber zuvor müssten wir uns zu meiner Sicherheit vergewissern, dass wir nicht beschattet wurden.«
»Hat er gesagt, wer diese Überwacher sein könnten?«
»Nein, aber mir war klar, dass er den russischen Geheimdienst meinte.«
»Hat er unterwegs mit Ihnen geredet?«
»Er hat die meiste Zeit telefoniert.«
»Hat er selbst angerufen oder ist er angerufen worden?«
»Beides.«
»Hat er Englisch oder Russisch gesprochen?«
»Immer nur Russisch. Sehr umgangssprachlich.«
»Haben Sie irgendwo Halt gemacht?«
»Nur ein Mal.«
»Wissen Sie noch, wo?«
»In einer ruhigen Nebenstraße nicht weit vom Flughafen entfernt. Neben einem Teich oder irgendeinem Reservoir. Der Fahrer ist ausgestiegen und hat sich vorn und hinten am Wagen zu schaffen gemacht.«
»Könnte er die Kennzeichen gewechselt haben?«
»Das weiß ich nicht. Inzwischen war es schon dunkel. Anatolij hat so getan, als passiere nichts.«
»Können Sie sich an die Uhrzeit erinnern?«
»Nein, aber danach sind wir nach London hinein weitergefahren. Wir waren auf einer Straße am Hyde Park unterwegs, als Anatolijs Handy geklingelt hat. Er hat ein paar Worte gemurmelt, dann hat er mich angesehen und gelächelt. Er hat gesagt, nun sei es ungefährlich, zu Grigorij zu fahren.«
»Was ist als Nächstes passiert?«
»Auf einmal ist alles sehr schnell gegangen. Ich habe etwas Lippenstift aufgelegt und bin mir mit dem Kamm durchs Haar gefahren. Dann habe ich aus dem Augenwinkel etwas gesehen. Eine Bewegung.« Sie machte eine Pause. »Anatolij hatte eine Pistole in der Hand. Sie hat auf mein Herz gezielt. Er hat gesagt, wenn ich einen Laut von mir gäbe, würde er mich erschießen.«
Sie verfiel in Schweigen, als widerstrebe es ihr weiterzusprechen. Erst als Lavon ihr aufmunternd zunickte, begann sie wieder zu sprechen.
»Plötzlich hat der Wagen ruckartig gehalten, und Anatolij hat mit der anderen Hand die Tür geöffnet. Auf dem Gehsteig habe ich Grigorij stehen gesehen. Ich habe meinen Mann gesehen.«
»Anatolij hat ihn angesprochen?«
Sie nickte unter Tränen.
»Wissen Sie noch, was er gesagt hat?«
»Ich werde seine Worte nie vergessen. Er hat Grigorij aufgefordert einzusteigen, sonst sei ich tot. Das hat Grigorij natürlich getan. Er hatte keine andere Wahl.«
Lavon ließ ihr einen Augenblick Zeit, ihre Selbstbeherrschung zurückzugewinnen.
»Hat Grigorij nach dem Einsteigen etwas gesagt?«
»Er hat gesagt, er werde tun, was immer sie wollten. Es gebe keinen Grund, mich zu bedrohen oder mir irgendwas anzutun.« Erneut eine Pause. »Anatolij hat ihn aufgefordert, die Klappe zu halten. Sonst könne er erleben, wie mein Gehirn das Wageninnere vollspritze.«
»Hat Grigorij auch mit Ihnen gesprochen?«
»Nur ein Mal. Er hat mir erklärt, dies alles tue ihm sehr leid.«
»Und danach?«
»Er hat kein Wort mehr gesagt. Er hat mich kaum angesehen.«
»Wie lange waren Sie zusammen?«
»Nur ein paar Minuten. Wir sind in eine Tiefgarage gefahren. Grigorij musste in einen Lieferwagen steigen, der an den Seiten beschriftet war. Mit dem Firmennamen irgendeines Reinigungsdiensts.«
»Wohin sind Sie gebracht worden?«
»Anatolij hat mich durch einen unterirdischen Gang ins Haus nebenan geführt, und wir sind mit dem Aufzug ins Erdgeschoss gefahren. In der Nähe hat ein Auto gewartet – dieses Mal mit einer Frau am Steuer. Anatolij hat mir eingeschärft, mich genau an ihre Anweisungen zu halten. Er hat mir mit dem Tod gedroht, wenn ich mit jemandem über diese Sache spräche. Und nach mir würde meine Mutter ermordet werden. Und danach meine beiden Brüder mitsamt ihren Kindern.«
Im Speisesaal der Villa herrschte
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