Der Oligarch
Besprechung mit dem Premierminister und meinem Generaldirektor vereinbaren. Ich denke, Sie sollten sie informieren, wenn Sie wollen. Schließlich haben Sie bewiesen, dass wir unrecht hatten. Das gibt Ihnen das Recht, uns die Fakten unter die Nase zu reiben.«
»Ich will niemandem etwas unter die Nase reiben. Und vor allem will ich nicht, dass der Premierminister oder Ihr Generaldirektor davon erfährt.«
»Grigorij Bulganow ist britischer Staatsbürger und hat als solcher Anspruch auf jeglichen Schutz der britischen Krone. Uns bleibt nichts anderes übrig, als Ihre Beweise den Russen vorzulegen und seine sofortige Rücküberstellung zu verlangen.«
»Iwan Charkow hat großen Aufwand getrieben, um Grigorij entführen zu lassen – bestimmt mit Einverständnis des FSB und sogar des Kremls. Glauben Sie wirklich, dass er ihn wieder herausrückt, nur weil der britische Premierminister darauf besteht? Nein, wir müssen dieses Spiel nach Charkows Regeln spielen.«
»Und das heißt?«
»Wir müssen Grigorij unsererseits entführen.«
Graham Seymour telefonierte noch einmal, dann zog er seinen Mantel an.
»Der Sicherheitsdienst in Heathrow schickt uns Überwachungsfotos. Sie und Olga bleiben hier. Und versuchen Sie, möglichst wenig herumzuballern. Ich habe im Augenblick genügend andere Probleme.«
Aber Gabriel blieb nicht lange in der sicheren Wohnung. Tatsächlich schlüpfte er schon wenige Minuten nach Seymour hinaus und machte sich auf den Weg zum Cheyne Walk in Chelsea.
Diese historische Londoner Straße, einst eine ruhige Flusspromenade, lag oberhalb des belebten Chelsea Embankments. An einigen der großen Häuser kündeten Messingplaketten von berühmten Bewohnern. Turner hatte heimlich in Nummer 119 gewohnt, Rossetti in Nummer 19. Henry James hatte seine letzten Tage in Nummer 21 verbracht, George Eliot in Nummer 4. Heutzutage konnten es sich nur noch wenige Künstler und Schriftsteller leisten, am Cheyne Walk zu wohnen. Er war inzwischen das Revier von reichen Ausländern, Popstars und den Neureichen aus der City. Und er war zufällig auch die Londoner Adresse Wiktor Orlows, eines im Exil lebenden russischen Oligarchien und Kremlkritikers, der in der vierstöckigen Villa Nummer 43 residierte. Genau der Wiktor Orlow, gegen den jetzt am King Saul Boulevard die geheimen Ermittlungen eines Fahndungsteams liefen.
Gabriel betrat den kleinen Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite und setzte sich auf eine Bank. Orlows Haus war hoch und schmal und mit Glyzinien bewachsen. Wie die anderen Villen entlang des eleganten Cheyne Walks stand es mehrere Meter von der Straße entfernt hinter einem schmiedeeisernen Zaun. Davor parkte ein gepanzerter Bentley mit einem Chauffeur am Steuer. Dicht dahinter wartete ein schwarzer Range Rover mit vier von Orlows Leibwächtern, alles ehemalige Angehörige der englischen Elitetruppe Special Air Service (SAS). Der King Saul Boulevard hatte ermittelt, dass die Leibwächter von der Firma Exton Executive Security Services Ltd. in der Hill Street in Mayfair kamen. Exton galt als der beste Londoner Sicherheitsdienst – keine schlechte Leistung in einer Weltstadt, in der sich viele Reiche Sorgen um ihre Sicherheit machten.
Als Gabriel schon gehen wollte, sah er drei der Leibwächter aus dem Range Rover aussteigen. Einer postierte sich am Eingang der Nummer 43, während die zwei anderen den Gehsteig in beide Richtungen blockierten. Sobald sie in Position waren, ging die Haustür auf, und Wiktor Orlow erschien von zwei weiteren Leibwächtern flankiert. Von dem berühmten russischen Milliardär bekam Gabriel nicht viel mehr zu Gesicht als einen grauen Bürstenhaarschnitt und flüchtig eine rosa Krawatte, die zu einem riesigen Windsorknoten gebunden war. Orlow verschwand in dem Bentley, die Türen wurden zugeknallt. Wenige Sekunden später brausten die beiden Wagen auf der Royal Hospital Road davon. Gabriel blieb noch zehn Minuten auf seiner Bank sitzen, dann stand er auf und machte sich auf den Rückweg nach Victoria.
Der Sicherheitsdienst in Heathrow brauchte weniger als eine Stunde, um den ersten Schwung von Fotos des Mannes, der nur als Anatolij bekannt war, zu produzieren. Leider war keines wirklich brauchbar, was Gabriel nicht überraschte. Alles an Anatolij ließ vermuten, dass er ein Profi war. Und wie jeder gute Profi wusste er, wie man sich auf einem Flughafen bewegte, ohne den Kameras viele Anhaltspunkte zu geben. Die Krempe seines weichen Filzhuts hatte viel dazu
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