Der Oligarch
den Kopf leicht schräg. »Es ist besser als die erste Kopie, finden Sie nicht auch?«
»Bei der ersten Version war Ihr Pinselstrich etwas zu pastos. Diese hier ist perfekt.« Elena runzelte leicht die Stirn. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die weite Reise auf sich genommen haben, um mit mir über meine Kinder zu plaudern oder mein Urteil über Ihre Malerei zu hören.«
Gabriel schwieg. Sie betrachtete weiter das Gemälde.
»Wissen Sie, Gabriel, Sie hätten wirklich Maler werden sollen. Sie wären bestimmt sehr erfolgreich gewesen. Und mit etwas Glück hätten Sie nie das Pech gehabt, meinem Mann zu begegnen.«
Von den über hundert Geheimdienstprofis aus vier Staaten, die in den Fall Charkow verwickelt gewesen waren, fragten die meisten sich noch immer: Wieso hatte Elena Warlamowa, die schöne, kultivierte Tochter eines kommunistischen Wirtschaftsplaners aus Leningrad, überhaupt einen Ganoven wie Iwan Charkow geheiratet?
Zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung arbeitete er in der berüchtigten Fünften Hauptverwaltung des KGBs und hatte eine glänzende Karriere vor sich. Aber als die Sowjetunion Ende der achtziger Jahre auf dem Totenbett lag, nahm sein Schicksal jäh eine überraschende Wende. In dem verzweifelten Versuch, der todkranken Sowjetwirtschaft neues Leben einzuhauchen, führte Michail Gorbatschow Wirtschaftsreformen ein, die eine beschränkte Ansammlung von Investmentkapital gestatteten. Von seinen Vorgesetzten ermuntert, verließ Charkow den KGB und gründete eine der ersten russischen Privatbanken. Mit der heimlichen Unterstützung seiner ehemaligen Kollegen warf sie bald erstaunliche Gewinne ab, und als die Sowjetunion zusammenbrach, konnte sich Charkow aus der Konkursmasse einige der besten Unternehmen sichern. Dazu gehörte eine Flotte von Frachtschiffen und -flugzeugen, die er zu einer der größten Speditionen der Welt ausbaute. So dauerte es nicht lange, bis Charkows Schiffe und Flugzeuge nach Afrika, in den Nahen Osten und nach Lateinamerika unterwegs waren. Beladen waren sie mit jenen russischen Erzeugnissen, die weiter Weltruf genossen: mit Waffen.
Iwan prahlte gern damit, er könne alles beschaffen und überallhin verschicken – manchmal sogar über Nacht. Moralische Fragen interessierten ihn nicht, ihn interessierte nur Geld. Er verkaufte seine Waffen allen, die sie bezahlen konnten. Konnten sie das nicht, übernahm seine Bank die Finanzierung. Er verkaufte Waffen an Diktatoren, aber auch an Aufständische. Er verkaufte sie an Freiheitskämpfer mit ehrlichen Anliegen und Massenmörder, die Frauen und Kinder abschlachteten. Seine Spezialität war die Belieferung von Regimen, die so verrufen waren, dass sie keine legalen Waffenlieferungen mehr erhielten. Er perfektionierte das Verfahren, beide Parteien eines Konflikts zu beliefern, wobei er die Mengen klugerweise so streckte, dass die Kämpfe möglichst lange dauerten, was seine Gewinne steigerte. Er vernichtete Staaten. Er vernichtete Menschen. Und er wurde damit unglaublich reich. Iwan Charkow konnte sein Netzwerk des Todes viele Jahre lang sorgfältig geheim halten. Für den Rest der Welt war er ein Symbol des Neuen Russlands: ein gerissener Geschäftsmann und Investor, der in Ost und West gleichermaßen zu Hause war und teure Villen, Luxusjachten und schöne Gespielinnen sammelte. Elena würde Gabriel später gestehen, sie habe an Charkows grandioser Täuschung mitgewirkt. Sie ignorierte nicht nur seine außerehelichen Eskapaden, sondern hinterfragte auch niemals die wahren Quellen seines ungeheuren Reichtums.
Aber das Leben ändert sich manchmal von einem Augenblick zum anderen. Gabriels Leben hatte sich an einem Abend in Wien in dem Moment verändert, die eine Zündkapsel brauchte, um die Sprengladung unter seinem Wagen detonieren zu lassen. Für Elena Charkowa kam dieser Augenblick, als sie zufällig ein Telefongespräch ihres Mannes mit seinem Sicherheitschef Arkadij Medwedew mithörte. Wenn wegen der Geldgier ihres Mannes Tausende von Unschuldigen sterben konnten, wollte sie ihn lieber verraten, als weiter zu schweigen. Ihr Entschluss führte sie in eine einsame Villa in den Hügeln über Saint-Tropez, wo sie Gabriel anbot, ihm zu helfen, die Geheimnisse ihres Mannes zu stehlen. Das daraufhin anlaufende Unternehmen kostete sie beide fast das Leben. Vor allem ein Schreckensbild würde Gabriel nie vergessen können: Elena Charkowa, die in einem Lagerhaus ihres Mannes gefesselt auf einem Stuhl saß, während Arkadij
Weitere Kostenlose Bücher