Der Oligarch
brannte. Als Fielding unauffällig den Raum verließ, wurde ihm klar, dass er eine solche Wut noch nie gesehen hatte. Er wusste nicht, was sein Freund Adrian Carter zu dem legendären israelischen Agenten gesagt hatte. Aber eines wusste er bestimmt. Blut würde fließen. Und Männer würden sterben.
TEIL III
A LLES QUITT
35 T IBERIAS , I SRAEL
Ari Schamron fand längst keinen Schlaf mehr. Wie die meisten Männer hatte er erst in hohem Alter begonnen unter Schlaflosigkeit zu leiden – allerdings aus Gründen, die ausschließlich seine Schuld waren. Er hatte so viele Lügen erzählt, so viele Täuschungsmanöver eingefädelt, dass er Fakten nicht mehr von Erfindung, Wahrheit nicht mehr von Lüge unterscheiden konnte. Durch seine Arbeit dazu verurteilt, für immer zu wachen, verbrachte Schamron die Nächte damit, unaufhörlich durch die schwer gesicherten Archive seiner Vergangenheit zu wandern, alte Fälle neu aufzurollen, über alte Schlachtfelder zu stapfen, es mit Feinden aufzunehmen, die schon lange Staub waren.
Und dann gab es das Telefon. In Schamrons langer und turbulenter Laufbahn hatte es zu den schrecklichsten Zeiten geklingelt, meistens mit einer Todesnachricht. Weil er sein Leben der Sicherung des Staates Israel – und damit auch des jüdischen Volkes gewidmet hatte –, hätte aus diesen Anrufen ein wahrer Horrorkatalog zusammengestellt werden können. Schamrom waren Kriegshandlungen und Terroranschläge, Entführungen und Selbstmordanschläge, zerbombte Botschaften und in Trümmer gelegte Synagogen gemeldet worden. Und einmal, vor vielen Jahren, war er mit der Nachricht geweckt worden, der Mann, den er wie einen Sohn liebte, habe Frau und Kind durch eine Autobombe in Wien verloren. Uzi Navots Anruf, der spätabends kam, war fast einer zu viel. Er bewirkte, dass Schamron einen Wutschrei ausstieß und sich ans Herz griff. Gilah, die neben ihm lag, erzählte später, sie habe befürchtet, ihr Mann würde einen weiteren Herzinfarkt erleiden. Schamron fing sich jedoch gleich wieder und blaffte einige knappe Befehle, bevor er leise den Hörer auflegte.
Der Alte blieb noch einige Sekunden rasch und flach atmend liegen. Das Ehepaar Schamron pflegte in diesen Fällen ein eingeführtes Ritual. Meistens stellte Gilah nach solchen Anrufen nur eine Frage: »Wie viele Tote?« Aber diesmal merkte sie, dass die Reaktion ihres Mannes anders war. Also streckte sie in der Dunkelheit eine Hand aus und berührte die lederartige Haut seiner eingefallenen Wange. Erst zum zweiten Mal in ihrer Ehe spürte sie dort Tränen.
»Was gibt’s, Ari? Was ist passiert?«
Auf seine Antwort hin schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte.
»Wo ist er?«
»Amerika.«
»Weiß er es schon?«
»Er hat es gerade erfahren.«
»Kommt er zurück?«
»Er ist morgen früh hier.«
»Wissen wir, wer es war?«
»Das können wir uns denken.«
»Was hast du vor?«
»Arnos will nicht, dass ich komme. Er glaubt, dass ich die anderen nur ablenke.«
»Seit wann lässt du dir von Arnos etwas sagen? Gabriel ist wie ein Sohn für dich. Sag Arnos, er soll sich zum Teufel scheren. Sag ihm, dass du zum King Saul Boulevard zurückkommst.«
Schamron schwieg einen Augenblick. »Vielleicht will er mich nicht dort haben.«
»Wer?«
»Gabriel.«
»Wie kommst du darauf, Ari?«
»Hätte ich ihn damals nicht angeworben …« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Hättest du ihn vor vielen Jahren nicht angeworben, wäre dies alles nie passiert? Wolltest du das sagen?«
Schamron gab keine Antwort.
»Gabriel ist dir ähnlicher, als du meinst. Ihm ist nichts anderes übrig geblieben, als zu kämpfen. Das müssen wir alle.« Gilah wischte ihrem Mann die Tränen ab. »Steh auf, Ari. Fahr nach Tel Aviv. Und sieh zu, dass du am Flughafen wartest, wenn er ankommt. Er muss ein vertrautes Gesicht sehen.« Sie machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Er muss seinen Abba sehen.«
Schamron setzte sich auf und stellte langsam die Füße auf den Bettvorleger.
»Soll ich dir Kaffee und ein paar belegte Brote machen?«
»Dafür reicht die Zeit nicht.«
»Ich lege dir frische Sachen zum Anziehen hin.«
Gilah knipste ihre Nachttischlampe an und stand auf. Der Alte riss wieder den Hörer von der Gabel und rief das Wachhäuschen am Fuß seiner Einfahrt an. Am Telefon meldete sich Rami, seit vielen Jahren Chef von Schamrons Leibwache.
»Lass den Wagen vorfahren«, verlangte Schamron.
»Irgendwas nicht in Ordnung, Boss?«
»Es geht um Gabriel. Den Rest
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