Der Oligarch
es unter diesen Umständen erwarten konnte. Ihr bisheriges Leben war schlagartig zu Ende, nur weil ihre russischen Leibwächter auf der Fahrt vom Strand in Saint-Tropez wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten wurden. Ich vermute, dass sie die einzigen Menschen waren, die in jenem Sommer in Südfrankreich gestoppt wurden, weil sie zu schnell gefahren sind.«
»Die Gendarmen können bei der Durchsetzung von Verkehrsregeln ziemlich unberechenbar sein.«
»Sie können auch sehr freundlich sein. Sie haben meine Kinder, die sie in Gewahrsam genommen hatten, gut behandelt. Nikolai schwärmt noch heute von der Gendarmerie. Auch in dem Bergkloster hat es ihm sehr gut gefallen. Aus Sicht meiner Kinder war ihre Flucht ein einziges großes Abenteuer. Und dafür habe ich Ihnen zu danken, Gabriel. Sie haben es ihnen sehr leicht gemacht.«
»Wie viel wissen sie darüber, was ihrem Vater zugestoßen ist?«
»Sie wissen, dass er geschäftliche Schwierigkeiten hatte. Und sie wissen, dass er sich von mir hat scheiden lassen, um seine Freundin Jekaterina heiraten zu können. Was den Waffenhandel und die Auftragsmorde angeht …« Sie brachte diesen Satz nicht zu Ende. »Die beiden sind noch viel zu klein, um das alles zu verstehen. Ich erzähle es ihnen, wenn sie etwas größer sind. Dann können sie ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.«
»Aber sie sind doch sicher neugierig?«
»Natürlich sind sie das. Sie haben seit einem halben Jahr nicht mehr mit Iwan gesprochen. Besonders Nikolai trifft das hart. Er vergöttert seinen Vater. Und ich weiß, dass er mich für die Trennung verantwortlich macht.«
»Wie erklären Sie ihnen die Tatsache, dass Sie hier isoliert und von Leibwächtern beschützt leben?«
»Das ist gar nicht so schwer. Anna und Nikolai sind die Kinder eines russischen Oligarchen. Sie sind umgeben von Männern mit Pistolen und Funkgeräten aufgewachsen, deshalb erscheinen ihnen die Leibwächter ganz normal. Was unsere Isolation betrifft, erzähle ich ihnen, dass sie nur vorläufig ist. Bald werden sie wie normale amerikanische Kinder zur Schule gehen und Freundschaften schließen können. Vorläufig haben sie eine von der CIA gestellte erstklassige Hauslehrerin. Sie arbeitet von neun bis drei Uhr mit den beiden. Anschließend sorge ich dafür, dass die zwei bei jedem Wetter zum Spielen hinausgehen. Wir haben über tausend Hektar Land mit zwei Seen und einem Fluss zur Verfügung. Ein wahres Paradies für Kinder. Aber das alles hätten wir uns ohne Sie und Ihre Helfer nie leisten können.«
Elena sprach von den professionellen Hackern des Diensts, die in den ersten Tagen nach ihrer Flucht Charkows Bankkonten in Moskau und Zürich geplündert und über zwanzig Millionen Dollar in bar beiseite geschafft hatten. Diese »ungenehmigten Sofortüberweisungen«, wie sie am King Saul Boulevard euphemistisch genannt wurden, gehörten zu den vielen Facetten des Unternehmens, die kaum noch als legal bezeichnet werden konnten. Letzten Endes war Charkow jedoch nicht in der Lage gewesen, sich über die verschwundenen Millionen zu beschweren, oder über die Vorkommnisse, durch die er das Sorgerecht für seine Kinder verloren hatte. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich gegen die im Westen erhobenen Anklagen zu wehren, er habe den Terroristen der al-Qaida mit Zustimmung des Kremls und dem Segen des russischen Präsidenten einige der gefährlichsten russischen Fla-Raketen verkauft.
»Adrian hat mir erzählt, dass die CIA Sie und die Kinder nur zwei Jahre lang beschützen will«, sagte Gabriel.
»Sie dagegen glauben offenbar, dass das nicht lange genug ist.«
»Nein, allerdings nicht.«
»Der amerikanische Steuerzahler kann nicht endlos lange für uns aufkommen. Sobald die CIA-Leute abgezogen werden, muss ich eben Leibwächter engagieren.«
»Was passiert, wenn Sie kein Geld mehr haben?«
»Dann kann ich immer noch das Bild verkaufen, das Sie für mich gefälscht haben.« Elena lächelte. »Möchten Sie es sehen?«
Sie führte ihn in den großen Wohnraum und blieb vor einer meisterhaften Kopie von Zwei Kinder am Strand von Mary Cassatt stehen. Dies war die zweite Version des Gemäldes, die Gabriel angefertigt hatte. Die erste war für zweieinhalb Millionen Dollar an Iwan Charkow verkauft und später von der französischen Justiz beschlagnahmt worden.
»Ich weiß nicht, ob es zu dieser rustikalen Einrichtung passt.«
»Das ist mir egal. Ich lasse es hier hängen.«
Gabriel legte eine Hand ans Kinn, hielt
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