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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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gut gewesen: zu spüren, aus welchem Grund jemand zu ihr kam. Elizabeth war von ihrer eigenen Antwort überrascht. »Ich konnte ihn heute nicht besuchen. Nachdem ich dem Makler die Schlüssel übergeben hatte – du weißt schon, Lucys Enkel –, konnte ich Frank einfach nicht gegenübertreten. Er hat so viel vergessen. Er denkt, er sei fünfundzwanzig.«
    »Wir alle denken, wir wären fünfundzwanzig. Weißt du, nur wenn ich in den Spiegel schaue oder dich ansehe und feststelle, wie alt du geworden bist, merke ich, wie viel Zeit vergangen ist.«
    »Das ist etwas anderes«, sagte Elizabeth.
    »Ich weiß.« Ihr Mutter gab ihr ein Zeichen, sich zu ihr in einen der Schaukelstühle zu setzen.
    Die Sonne wärmte Elizabeths Haut. Der Geruch und das Gespräch über Frank ließen sie an den Sommer denken, in dem er um ihre Hand angehalten hatte. Damals erwachte das Tal gerade aus einem besonders schneereichen Winterschlaf. Die Schneemassen ließen den Mount Shasta in der Ferne viel kleiner wirken. Für gewöhnlich war der Schnee bis Juni weggeschmolzen, doch in diesem Jahr gab es eine zweite Sommerschmelze. Der Fluss trat über die Ufer und wurde zu einem beliebten Ausflugsziel. Die Bauern, deren Land an das Flussufer grenzte, hatten im Mai Reißaus genommen. Jerry Sims mietete sogar ein Pferdegespann, um seine Scheune zu versetzen, und Barry James leerte seinen Getreidespeicher und bezahlte seine Nachbarn dafür, das Korn für ihn zu lagern.
    Anfang Juni, als die Arbeiten im Hain größtenteils erledigt waren, erschien Frank im Haus und fragte, ob sie mit ihm den Fluss ansehen wollte. Elizabeth war kein hübsches Mädchen – damit hatte sie sich bereits frühzeitig abgefunden. Als sie neunzehn wurde, sagten ihr ein paar wohlwollende Menschen, sie sei reizend. Sie vermutete, dass sie einfach nur weitsichtig waren. Sie war größer als die meisten Männer um sie herum, und ihr Gesicht war streng und kantig.
    Sie und Frank waren zusammen aufgewachsen. Der Olivenhain seiner Familie war keiner der ursprünglichen sieben, die zum Aufbau der Stadt Kidron beigetragen hatten, doch sie hatten ihn kurz nach Kidrons historischer Umsetzung erworben und bepflanzt.
    Frank machte damals noch einer anderen jungen Frau den Hof, einem zierlichen Mädchen namens Frances, das mit seinen jüngeren Schwestern befreundet war. Er ging mit ihr ins Kino, das die Rodgers in der Stadt eröffnet hatten, und führte sie ab und zu auf ein Sodawasser aus. Dennoch schaute Frank einmal in der Woche bei Elizabeth vorbei, und sie gingen spazieren oder ritten aus. Seine Familie hatte nie einen Stall besessen, doch er ritt, als wäre er im Sattel geboren.
    In diesem Sommer, als die Flussufer überflutet waren, ritten sie immer am frühen Nachmittag aus und setzten sich dann auf den Stamm eines Mammutbaums, von dem aus sie über den Fluss blicken konnten. Elizabeth konnte sich nicht mehr an alles erinnern, worüber sie damals sprachen, lediglich an vereinzelte Worte zu Franks Ansichten über Gott oder wie man am besten die Olivenproduktion steigern konnte.
    Im August, als das Wasser schließlich zurückging und Baumstämme und Felsbrocken zutage traten, die vom Mount Shasta heruntergerissen worden waren, hielt er um ihre Hand an. An diese Worte erinnerte sie sich allerdings noch genau. Er packte sie an den Schultern und sagte: »Du musst mich heiraten. Ich könnte keine andere ertragen. Ihr Parfum, ihre Albernheit, ihre Petticoats.«
    »Liebst du mich denn?«, fragte ihn Elizabeth.
    »Du bist mehr, als ich verdiene«, antwortete er.
    In diesem Moment hatte Elizabeth begriffen. Es gab keine anderen Verehrer in ihrem Leben, und die ganze Stadt redete über sie, als würde sie als alte Jungfer enden – die Freundlichen gaben ihr Bücher von Jane Austen oder Emily Dickinson zu lesen, während die weniger Freundlichen ihr sagten, dass Anna bestimmt froh sei, ein Kind zu haben, das ihr Elternhaus niemals verlassen würde.
    »Werden wir Kinder haben?«, fragte sie.
    »Ich werde dir geben, was ich kann«, antwortete Frank. Er hatte einen durchnässten Zweig aufgehoben und stocherte damit an einer toten Beutelratte herum. Sie war aufgedunsen, und der Großteil ihres Fells vom Wasser fortgespült.
    »Ich werde nehmen, was ich kriege«, sagte Elizabeth.
    Er vertraute ihr sein Geheimnis in der Hochzeitsnacht an. Seine genauen Worte waren: »Meine Rohrleitung funktioniert nicht richtig. Vielleicht gelingt es mir, sie einsatzfähig zu machen, wenn du sie

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