Der Olivenhain
dass sie mich dann nicht mehr lieben würde. Also akzeptierte ich, dass Mims meine Mutter war.«
Doktor Hashmi klappte seinen Laptop auf und begann, wie wild zu tippen. »Woher, sagten Sie noch mal, stammten Ihre Eltern? Aus welchem Teil Australiens?«
»Das wissen Sie doch«, sagte Elizabeth. Sie fragte sich, wie viel von all dem wohl inszeniert sein mochte. Sie blickte dem Doktor über die Schulter. »Brisbane.«
Er scrollte durch ein seitenlanges Dokument. »Wir haben sämtliche Personen katalogisiert, die behaupten, älter als hundertzehn Jahre zu sein. Das sind mehr, als Sie meinen würden, andererseits leben auf der Erde über sechs Milliarden Menschen. Hier zum Beispiel haben wir zwei Frauen aus einem Dorf in Somalia. Sie behaupten, Mutter und Tochter zu sein, aber niemand weiß, wer von beiden wer ist, und sie sind so alt, dass alle im Dorf sie nur als alte Frauen kennen. Sie sagen, sie seien hundertzwanzig und hundertsechs Jahre alt, aber wir wissen es nicht.«
Er markierte mehrere Einträge und öffnete sie mit einem Mausklick. Im Nu war der Bildschirm des kleinen Geräts ausgefüllt. »Einundzwanzig unbestätigte über Hundertzehnjährige in Australien. Und, du meine Güte, achtzehn davon sind Frauen.«
»Ja und?«, fragte Callie.
»Das sind viel zu viele«, sagte er.
»Was?«, fragte Erin.
Doktor Hashmi setzte sich mit dem Computer auf dem Schoß neben sie. »Es ist normal, dass es mehr ältere Frauen als Männer gibt. Frauen achten besser auf sich, sie kämpfen nicht in Kriegen und gehen weniger Risiken ein als Männer. Aber dieser Prozentsatz hier ist zu hoch. Möglicherweise finden wir eine Mutation wie die von Anna. Eine, die nur Frauen haben.«
Callie ging zu den beiden hinüber. Elizabeth beobachtete, wie ihre Tochter dem Doktor eine Hand auf den Rücken legte. Es war eine besitzergreifende Geste. Wie Elizabeth ihre Tochter kannte, war sie mit Sicherheit stolz darauf, dass er diese Mutation entdeckt und so schnell mit Annas Vergangenheit in Verbindung gebracht hatte.
Elizabeth drehte sich zu ihrer Mutter um. »Es tut mir so leid.«
»Percy und Mims haben dir immer vertraut«, sagte sie und legte Elizabeth eine Hand auf den Kopf. »Erzähl mir, was du weißt.«
Elizabeth legte ihren Kopf in den Schoß ihrer Mutter. Sie erzählte ihr jede Kleinigkeit, die sie über Annas Herkunft wusste. Als sie fertig war, blieb sie bei ihrer Mutter sitzen und betrachtete ihre eigene Tochter. Es war Jahrzehnte her, seit sie sie das letzte Mal glücklich gesehen hatte. Sie stand neben Doktor Hashmi, lehnte sich an ihn und verlagerte das Gewicht auf ihr gesundes Bein. Er sprach aufgeregt über Genetik und Langlebigkeit und bewegte seine Hände dabei, als würde er ein Orchester dirigieren. Ihre Augen strahlten, und Elizabeth glaubte zu sehen, wie ihrer Tochter das Blut in die Wangen strömte.
Sie musste an das andere Geheimnis denken, das sie und Doktor Hashmi Callie verschwiegen, und fragte sich, ob ihre Tochter immer noch glücklich wäre, wenn sie wüsste, dass sie Franks einziges leibliches Kind war. Sie wollte ihre Mutter fragen, ob sie meinte, dass sie weiterhin schweigen sollte, besonders jetzt, da Anna die ganze Wahrheit über ihre Mutter erfahren hatte.
Anna wirkte nicht gerade glücklich – zum ersten Mal, seit Elizabeth denken konnte, sah ihre Mutter alt aus. Ihr kam der Gedanke, dass Doktor Hashmi sich geirrt haben könnte, was die hohe Lebenserwartung ihrer Mutter betraf.
»Mama?«, fragte Elizabeth. Ihre Stimme schien Anna von ganz weit weg zurückzuholen.
»Mir geht es gut«, sagte sie. Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück, und der gelbliche Schimmer verschwand von ihrem Gesicht. »Wir müssen die Reise nach Australien vorbereiten.«
4.
Abschied
A n dem Tag, an dem Callie zusammen mit Doktor Hashmi fortging, regnete es. Einen Monat später regnete es immer noch. Feuchte Sommer waren ungewöhnlich für Kidron, und die Freude über pralle Oliven war in Bestürzung umgeschlagen, als im August erste Anzeichen von Fäu le an den Steinfrüchten zu erkennen waren. Elizabeth hingegen mochte das Grau in Grau und den Nieselregen. Es passte zu ihrer Stimmung.
»Schluss mit dem Trübsalblasen, Sauertopf«, sagte Erin, als sie ins Wohnzimmer kam. »Der Wetterbericht hat für heute Sonne angekündigt.« Das Baby hing in einem Tragetuch, das sich Erin um die Schulter gebunden hatte.
»Gib mir mal den kleinen Mann. Er wird mich aufheitern.« Der Junge war inzwischen fast vier Monate alt, und
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