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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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zwischen den Ritzen im Boden gerieselt waren.
    Wealthy kam mit den Lindsey-Jungs an, um sich nach Brauchbarem für ihre Cowboyspiele umzusehen, und schob Anna unsanft beiseite. »Mädchen haben hier nichts zu suchen!« Rasch steckte Anna ein faustgroßes Knochenstück in die Tasche und kletterte auf einen Stapel Mehlsäcke, der ihr als Beobachtungsposten diente.
    Nach zehn Stunden Schwerstarbeit waren alle achtzehn Häuser des Dorfs schließlich versetzt. Für die beiden letzten Gebäude, die Apotheke und die Schmiede, drückte man den Kindern kurzerhand Laternen in die Hand, die sie auf den Köpfen tragen und damit zwischen der alten und neuen Hauptstraße hin und her pendeln sollten. Nachdem alles geschafft war, sah Anna, wie ihr Vater sich auf den Heimweg in Richtung Hill House begab. Sofort rannte sie mit ihrer Laterne in die entgegengesetzte Richtung, um nachzusehen, was bei den anderen Häusern zwischen den Ritzen durchgefallen war. Es war der einzige Abend in ihrem Leben, an dem sie lange nach Wealthy heimkam.
    Die zwischen den Ritzen entdeckten Schätze bewahrte Anna jahrzehntelang in einem blauen Stofftuch auf. Erst an einem langen, warmen Sommertag, als ihre Kinder noch klein waren und beschäftigt werden wollten, holte sie das Bündel aus ihrer Aussteuertruhe. Sie verteilte die Knöpfe, Schnallen, Nägel und Knochen an sie und dachte sich zu jedem Stück eine Geschichte über den Besitzer und die mächtigen Zauberkräfte aus, die von dem Gegenstand ausgingen.
    Im Olivenhain hörte Anna das ferne Knirschen von Reifen auf dem Kiesweg. Der Genforscher war endlich angekommen. Rasch streifte sie noch einige Zweige ab und sah prüfend in den Korb zu ihren Füßen. Er war zu zwei Dritteln voll. Für heute würde es genügen.

4.
    Super Ager
    A n na beobachtete aufmerksam, wie sich der Doktor Oliven, grüne Bohnen und Kartoffeln auf den Teller lud. Das Fleisch reichte er weiter, nahm jedoch drei von Callies selbst gebackenen Brötchen. Seine trüben braunen Augen schweiften umher, und bei jedem Blickkontakt mit einer der Frauen nickte er flüchtig. Anna schätzte ihn auf Ende fünfzig – Callie dürfte damit wohl schon zu alt für ihn sein. Nach Annas Erfahrung suchten sich Männer in seinem Alter eher jüngere Frauen, die sie später pflegen konnten. Aber er hatte freundliche Augen, die die meiste Zeit zu Callie blickten.
    Bets, die für den Schweinebraten zuständig war, wollte ihm ein Stück aufnötigen. »Keine Sorge, das ist kein Rind. Das Fleisch ist frisch, erst letzte Woche wurde das Schwein geschlachtet.«
    Doktor Hashmi sah auf seinen Teller. »Mit einer so üppigen Mahlzeit hatte ich nicht gerechnet.«
    »Die meisten Hindus, die ich kenne, sind Vegetarier«, sagte Erin, die aus dem Schlafzimmer gekommen war, als sich Doktor Hashmi vorstellte. Er hatte entzückt in die Hände geklatscht, als die anderen von Erins unerwarteter Rückkehr berichteten, und seine große Freude darüber ausgedrückt, nun auch die fünfte Generation der Familie persönlich kennenlernen zu dürfen.
    »Ja, amerikanisches Essen ist manchmal etwas kompliziert«, sagte er und nahm stattdessen eine Olive. »Kompliziert, aber sehr gut.«
    »Ich esse auch kein Fleisch«, erklärte Erin und sah ihm dabei in die Augen. »Aus ethischen Gründen, artgerechte Haltung, Tierschutz und so weiter.«
    Anna erstarrte. »Dein Cousin Charley Spence hat das Tier eigenhändig aufgezogen. Er hat das kleine Ferkel auf einer Viehmesse ersteigert, und es folgte ihm überallhin wie ein Hund. Was willst du denn mehr an artgerechter Haltung?«
    Bobo knurrte leise, und zur Überraschung aller griff Erin nun nach der Platte, um sich ein Stück Schweinebraten aufzutun. Sie riss eine kleine Ecke ab, warf sie dem Hund hin und leckte sich die Finger ab. »Mmmh, ist das lecker.« Anna war sich nicht sicher, ob Erin mit dem Hund oder mit ihnen sprach.
    Erins blinzelte. »Ich war wohl zu lange weg, hab ganz vergessen, dass die Uhren hier anders ticken und dass Schweine hier noch täglich zum Spaziergang ausgeführt werden.« Dann zerteilte sie das Fleisch mundgerecht und nahm ein erbsengroßes Stück mit der Gabel auf. »Und wie köstlich und zart Bets’ Schweinebraten ist, war mir auch entfallen. Er zergeht förmlich auf der Zunge.«
    Anna fiel darauf nichts ein. Sie wollte Erins seltsames Benehmen nicht in Anwesenheit eines Fremden diskutieren. Bets schob ihr noch ein Stück Braten auf den Teller. »Du bist so dünn, Kind, du könntest etwas mehr Fleisch auf den

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