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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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telefonische Befragungen vorgenommen. Es war schwierig gewesen, eine Erlaubnis für ein Gespräch mit Deb zu bekommen, denn sie war im Gefängnis. Glücklicherweise verfügte Doktor Hashmi über nicht unerhebliche Summen an Forschungsgeldern, und nach einer großzügigen Spende war der Leiter der Strafanstalt in Chowchilla bereit gewesen, der Anfrage stattzugeben.
    Während ihres Telefoninterviews war Anna grantig gewesen und hatte einsilbig geantwortet, weil sich jemand anmaßte, das Geheimnis der Langlebigkeit durch banale Fragen nach den Krankheiten längst verstorbener Verwandter lüften zu können. Nun verfolgte sie aufmerksam, wie Dr. Hashmi den umfangreichen Fragebogen erklärte. Sie wollte auf keinen Fall den Eindruck machen, als sei sie verwirrt. Erins Desinteresse an seinen Erläuterungen nahm sie ebenfalls wahr. Ihre Ururenkelin blätterte achtlos in dem Formular, bis sie bei Abschnitt sechs auf die Überschrift »Ernährungsgewohnheiten« stieß.
    »Wie schön, dass Sie sich wenigstens an dieser Stelle dafür interessieren, was wir essen«, sagte Erin mitten in seine Ausführungen zu Abschnitt zwei hinein, in dem es um Umweltschadstoffe ging.
    »Ja natürlich, die Ernährung ist ein wichtiger Faktor, obwohl ich da kein Experte …« Doktor Hashmi neigte den Kopf seitlich, um Erin aussprechen zu lassen.
    »Es liegt am Öl«, erklärte sie.
    »Am Öl?« Jetzt war Doktor Hashmi aus dem Konzept geraten und begriff nicht, worauf sie hinauswollte. Doch Anna wusste es, und Bets ebenfalls, die Erin durch ein leises Kopfschütteln am Weiterreden hindern wollte.
    »Die Oliven. Beim Mittagessen haben Sie selbst davon probiert. Haben Sie denn bei der Herfahrt die prachtvollen Olivenbäume nicht gesehen? Ich kam kurz vor Ihnen an, und der Westwind wehte die Blätter nach oben, sodass man nicht nur ihre sattgrüne Oberseite sehen konnte, sondern auch die silbern schimmernde Unterseite. Man nennt dieses Phänomen das Auge der Athene. Ich weiß nicht, ob Sie bereits in alle Geheimnisse unseres Olivenhains eingeweiht sind, aber ich verrate Ihnen etwas. Dieser Baumbestand geht zurück auf unvordenkliche Zeiten. Fragen Sie Anna, sie wird Ihnen erzählen, wie ihr Vater diese Bäume heimlich aus Brisbane hierhergeschmuggelt hat.« Sie lehnte sich nach diesen Ausführungen zufrieden lächelnd aufs Sofa zurück.
    »Ja natürlich, der Olivenhain.« Er machte eine kurze Pause und sah hinüber zu Callie, die flüchtig mit den Schultern zuckte. »Wirklich beeindruckend. Pressen Sie das Öl auch selbst?«
    »Wir pressen es, wir verkaufen es, wir kochen damit, und wenn Sie Erin nur lange genug reden lassen, dann glauben Sie am Ende noch, wir legen uns zum Schlafen rein«, erwiderte Bets und hielt die Fragebögen so fest umklammert, dass sie knickten. »Der Herr Doktor will Antworten auf seine Fragen und keinen Unfug hören.«
    Erin sah ihre Urgroßmutter mürrisch an. Bets hatte nie an die Kräfte des Olivenbaums geglaubt. Sie überschüttete Callie und Erin jedes Mal, wenn sie damit anfingen, mit Spott. Es war dann, als erklärte sie den faulen Trick, mit dem ein Zauberer das weiße Kaninchen aus dem Hut zog.
    Anna schloss die Augen. Bobo drängte sich an sie und legte eine Pfote auf ihr Knie.
    »Vielleicht sollten wir morgen weitermachen«, sagte Doktor Hashmi und erhob sich behutsam vom Sofa. Callie war ihm derweil so auf die Pelle gerückt, dass sie fast zur Seite kippte, als sein Platz plötzlich frei wurde.
    »Nein, wir sollten nur einen Happen essen. Sie müssen nämlich wissen, dass wir Keller-Frauen eine Kreislaufschwäche haben. Wenn wir nicht mindestens alle vier Stunden etwas in den Magen bekommen, werden wir bissig.«
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie so heißen. War das der Name Ihres Ehemanns?«
    Anna antwortete nicht. Seit geraumer Zeit versuchte sie, Blickkontakt mit Bets aufzunehmen, denn ihr war schlagartig klargeworden, was mit Erin los war. Sie wollte unbedingt wissen, ob bei Bets nun auch der Groschen gefallen war. Der Heißhunger hatte sie verraten. Erin hatte gerade erst gegessen. Als sie als kleines Mädchen zu ihnen gezogen war, hatte sie ein völlig unregelmäßiges Essverhalten gehabt. Manchmal schlang sie eine Mahlzeit herunter wie ein Wolf, dann wieder aß sie tagelang nichts und verdaute wie eine Schlange.
    »Na, macht ja nichts«, unterbrach er das Schweigen und setzte sich auf einen Stuhl neben Anna. »Sie sind eine bemerkenswerte Frau«, sagte er und drückte ihre Hand. »Alle über

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