Der Olivenhain
Rippen vertragen.«
Am Ende war Erin die Einzige, die richtig zulangte. Annas Blick fiel auf den halb vollen Teller, den Bets stehen gelassen hatte. Callie und Doktor Hashmi waren schon aufgestanden, um das Geschirr in die Küche zu tragen, jedoch auf halbem Weg leise plaudernd im Zimmer stehen geblieben.
»Können wir jetzt anfangen?«, fragte Anna.
Wenig später saß Doktor Hashmi eingekeilt zwischen Callie und Erin auf dem niedrigen Sofa im Wohnzimmer. Erin wirkte nach dem stärkenden Mahl quicklebendig und stellte eine Frage nach der anderen, ohne Doktor Hashmi Zeit für eine Antwort zu geben. »Ich höre da einen ganz leichten Akzent«, sagte sie eben. »Woher kommen Sie?«
»Aus Tennessee. Mein Vater ist in den Vierzigerjahren nach Amerika ausgewandert, um an den Atomversuchen teilzunehmen.«
Er sagte es so, als wüssten sie nicht, wovon er sprach, aber Anna korrigierte diesen Eindruck. »Oak Ridge, nicht wahr? Einer der Lindsey-Jungs war dort als Sicherheitsmann angestellt. Wir alle dachten damals, er baue Erdnüsse an. Vielleicht kannten Ihre Eltern ihn?«
Doktor Hashmi hob die Schultern und wollte etwas erwidern, doch Bets kam ihm zuvor. »Alte Menschen meinen oft, dass sich immer alle kennen müssen.« Sie wechselte das Thema und fragte, ob er in Tennessee geboren sei.
Doktor Hashmi schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das verrät Ihnen nun gleich, wie alt ich bin.«
»In diesem Raum muss sich niemand für sein Alter schämen«, rief Callie. »Niemand unter fünfzig wird zum Leiter einer Forschungsabteilung ernannt.« Sie beugte sich vor und zeigte ihr üppiges Dekolleté. »Ich war ohnehin ganz perplex, als mich Ihr Assistent sofort zu Ihnen durchgestellt hat.«
Anna beobachtete den Doktor aufmerksam. Er neigte den Kopf zu Callie hinüber, doch sie konnte nicht erkennen, wohin er schaute. Offenbar mochte Callie Doktor Hashmi. Sie war sich nicht sicher, ob er ihre Gefühle auch erwiderte.
»Mein ganzes Berufsleben lang habe ich gehofft, auf eine Familie wie die Ihre zu stoßen.« Flüchtig berührte er Callies Knie.
»Und nun haben Sie uns gefunden, mitten im Nirgendwo von Kalifornien«, sagte Erin mit spitzem Unterton, der bei Anna die Alarmglocken schrillen ließ. Sie versuchte, ihre Besorgnis wegzuwischen und sich ganz auf das zu konzentrieren, was der Doktor sagte. Der öffnete gerade seine Aktentasche, um Unterlagen auszuteilen.
»Hier sind schon mal die Fragebögen, aber Sie können sich mit dem Ausfüllen Zeit lassen, es ist nicht dringend. Ich bin vor allem gekommen, um Sie mündlich zu befragen, und natürlich wegen der DNA-Analysen. Ich brauche nämlich Blut!« Sein Versuch, witzig zu sein, stieß auf tiefes Schweigen. Als Callie endlich lachte, war der richtige Moment längst vorbei.
Da tat er Anna leid, und obwohl sie es nicht wollte, schmolz ihr Argwohn dahin. Zuerst war sie strikt gegen die Einladung gewesen, denn sie wollte sich nicht in ihrem Erbgut herumstochern lassen. Das sind doch alles Laborratten, hatte sie zu Callie gesagt. Doch ihre Enkelin hatte ihr ausführlich erklärt, wozu das alles gut war. Sein berufliches Interesse galt Menschen wie Anna, die älter waren als 110, vor allem denen, die noch gesund und munter waren, und deren Nachkommen ebenfalls sehr alt wurden. Er hoffte, das Langlebigkeitsgen zu entdecken, und für sein Projekt hatte er reichlich Fördermittel eingeworben. Dieses Gen sei so eine Art Legende in der Genomforschung, hatte Callie gesagt.
Anna fand Callies Begeisterung für die Langlebigkeit ihrer Familie übertrieben. Das Mädchen hatte sich schon immer gefragt, warum die Keller-Frauen ohne großen Aufwand zu betreiben und wie selbstverständlich in Würde und Schönheit alterten. Obwohl sie es nie ausgesprochen hatte, befürchtete Anna, dass es ihre Leistung, der älteste noch lebende Mensch auf der Welt zu sein, schmälern könnte, wenn sie es einer Besonderheit ihrer Familie verdankte. Sie verglich es insgeheim mit der Spitzenleistung eines Sportlers, der am Ende des Dopings überführt wurde. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn Callie die Sache endlich auf sich beruhen ließe, aber ihre Enkelin gab nicht auf.
Dieses Mal war es ein Artikel in der Zeitschrift Newsweek über Doktor Hashmis Forschungsprojekt gewesen, der den Stein erneut ins Rollen gebracht hatte. Gleich nach der Lektüre hatte Callie in Dr. Hashmis Fakultät an der Universität von Pittsburgh angerufen. Im Frühjahr darauf hatte der Doktor einen Fragebogen geschickt und erste
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