Der Omega-Punkt: Roman (German Edition)
nicht mitkommen wollen, aber wir hätten etwas sagen sollen, und ihr Vater hatte das auch getan, aber wir hätten darauf bestehen sollen, nicht nachgeben.
Na schön, unmöglich war das nicht, ein langer Spaziergang. Die Hitze war in den letzten Tagen zurückgegangen, wir hatten eine Wolkendecke, sogar eine Brise.
Vielleicht hatte sie nicht eine Minute länger hier verbringen wollen und war den langen Weg bis zur nächsten asphaltierten Straße gelaufen, in der Hoffnung, per Anhalter mitgenommen zu werden. Kaum vorstellbar, dass sie tatsächlich glaubte, sie könne San Diego erreichen und dann einen Flug nach New York nehmen, augenscheinlich ohne Gepäck, ja sogar ohne Portemonnaie. Das lag auf ihrer Frisierkommode, mit Scheinen und Münzen ringsherum und der Kreditkarte in ihrem Schlitz.
Ich stand am Eingang zum Schuppen. Hundert Jahre Schrott sah ich vor mir, Glas, Lumpen, Metall, Holz, wir hatten sie hier allein gelassen, und dieses Gefühl im Körper, die völlige Taubheit in Armen und Schultern, nicht zu wissen, was ich ihm sagen sollte, und die Chance, die schwache Aussicht, dass wir im verblassten Licht auf der Terrasse stehen würden, und sie käme zu Fuß über den Sandweg, und wir könnten kaum glauben, was wir sähen, er und ich, und es würde nur kurze Zeit brauchen, die letzten paar Stunden zu vergessen, und wir würden zum Abendessen hineingehen und wieder die Menschen sein, die wir immer waren.
Er war im Haus, auf dem Sofa, weit vorgebeugt sprach er zum Boden.
»Ich wollte sie überzeugen, mitzukommen. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie haben es gehört. Sie sagte, sie fühle sich nicht wohl. Kopfschmerzen. Sie bekommt manchmal Kopfschmerzen. Sie wollte hierbleiben und sich hinlegen. Ich gab ihr ein Aspirin. Ich brachte ihr ein Aspirin und ein Glas Wasser. Ich sah zu, wie sie das verdammte Ding schluckte.«
Er schien sich selbst davon überzeugen zu wollen, dass all das genau so passiert war, wie er es gerade sagte.
»Wir müssen anrufen.«
»Wir müssen anrufen«, sagte er. »Aber werden die nicht sagen, dass es zu früh ist? Sie ist erst ein oder zwei Stunden weg.«
»Bestimmt kriegen die ständig Anrufe wegen vermisster Wanderer. Andauernd gehen Leute verloren. Hier draußen, um diese Jahreszeit, egal wie die Situation ist, müssen sie schnell handeln«, sagte ich.
Die einzigen Telefone waren unsere Handys, die schnellste Verbindung zu jedweder Hilfe. Elster hatte eine Karte von der Gegend mit darauf verzeichneten Nummern, vom Hausbetreuer, dem Büro des Sheriffs und den Parkrangers. Ich holte unsere beiden Handys und riss die Landkarte von der Küchenwand.
Ich erreichte einen Mann im Büro der Parkrangers. Ich gab ihm Namen, Beschreibung, ungefähre Lage von Elsters Haus. Ich erläuterte Jessies Umstände, keine Wanderin, nicht mit dem Mountainbike, nicht mit dem Auto, nicht in der Lage, auch nur eine begrenzte Zeit lang den Elementen da draußen standzuhalten. Er sagte, er sei ein Freiwilliger und werde versuchen, den Parkwächter zu erreichen, der gerade mit einem Suchtrupp unterwegs sei, um Mexikaner zu finden, die über die Grenze geführt und dann im Stich gelassen worden seien, ohne Essen oder Wasser. Es gab Suchflugzeuge, Suchhunde, mobile GPS Geräte, und sie suchten oft auch nachts. Sie würden die Augen offen halten, sagte er.
Elster saß immer noch auf dem Sofa, das Handy neben sich. Im Büro des Sheriffs war niemand drangegangen, er hatte eine Nachricht hinterlassen. Jetzt wollte er den Hausbetreuer anrufen, jemanden, der sich in der Gegend hier auskannte, und ich versuchte, mir den Mann deutlich ins Gedächtnis zu rufen, das sonnen- und windgegerbte Gesicht, die zusammengekniffenen Augen. Falls Jessie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, würde ich wissen wollen, wo er gewesen war, als es passierte.
Elster rief an, es klingelte ein Dutzend Male.
Ich räumte die Lebensmittel fertig ein. Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, wo die Dinge hingehörten, aber die Dinge schienen transparent zu sein, ich konnte durch sie hindurchsehen, hindurchdenken. Er war wieder draußen auf der Terrasse. Ich ging ein weiteres Mal durch das Haus, suchte nach einem Hinweis, dem Schimmer einer Absicht. Die Wucht, vom ersten Moment an immer stärker werdend, schwer abzufangen. Ich wollte nicht hinausgehen und neben ihm stehen und starren. Die Angst wurde in seiner Gegenwart tiefer, die düstere Vorahnung. Aber nach einer Weile goss ich Scotch auf Eis in ein hohes Glas, brachte es ihm
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